Sven Giegold

Europaparlament stimmt gegen einen einseitigen intergouvernementalen Fiskalpakt

Das Europaparlament hat mit den Stimmen von Christdemokraten, Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen und gegen die Stimmen von Rechtskonservativen und Linken eine gemeinsame Resolution zum geplanten europäischen Fiskalpakt verabschiedet. Das Abstimmungsergebnis lautete 512 Ja-Stimmen zu 124 Nein bei 50 Enthaltungen. Das EP besteht darauf, dass der Pakt auf ein Minimum beschränkt wird. Alles, was im Rahmen der demokratischen Gemeinschaftsmethode beschlossen werden kann, soll auch dort geschehen.

Außerdem kritisiert das Europaparlament die Einseitigkeit des Fiskalpakts. Es fordert Eurobonds, eine Europäische Finanztransaktionssteuer und Projektbonds.

Hier der Text der Resolution

GEMEINSAMER ENTSCHLIESSUNGSANTRAG
eingereicht gemäß Artikel 110 Absatz 4 der Geschäftsordnung anstelle der Entschließungsanträge der Fraktionen:
PPE (B7-0003/2012)
S&D (B7-0004/2012)
Verts/ALE (B7-0005/2012)
ALDE (B7-0011/2012)

zu den Schlussfolgerungen der Tagung des Europäischen Rates (8.-9. Dezember 2011) zum Entwurf eines Internationalen Abkommens über eine verstärkte Wirtschaftsunion (2011/2546(RSP))

Elmar Brok im Namen der PPE-Fraktion
Roberto Gualtieri im Namen der S&D-Fraktion
Guy Verhofstadt im Namen der ALDE-Fraktion
Daniel Cohn-Bendit im Namen der Verts/ALE-Fraktion

Entschließung des Europäischen Parlaments zu den Schlussfolgerungen der Tagung des Europäischen Rates (8.-9. Dezember 2011) zum Entwurf eines Internationalen Abkommens über eine verstärkte Wirtschaftsunion (2011/2546(RSP))

Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen der Tagung des Europäischen Rates vom 8. und 9. Dezember 2011,
– in Kenntnis der Erklärung der Staats- und Regierungschefs des Euro-Währungsgebiets vom 9. Dezember 2011,
– unter Hinweis auf das sogenannte „Sixpack“ und die beiden Vorschläge der Kommission zur weiteren Stärkung der Haushaltsdisziplin (1),
– unter Hinweis auf den Stand der Verhandlungen über den Entwurf des internationalen Übereinkommens über eine verstärkte Wirtschaftsunion,
– unter Hinweis auf die Vorlage im Namen des Europäischen Parlaments, die von denVertretern des EP in der Ad-hoc-Arbeitsgruppe vorgebracht wurde,
– gestützt auf Artikel 110 Absatz 4 seiner Geschäftsordnung,

1. bezweifelt, dass ein solches zwischenstaatliches Abkommen notwendig ist, da die meisten der darin genannten zentralen Ziele besser und wirksamer durch Maßnahmen im Rahmen des EU-Rechts verwirklicht werden können, um nachdrücklich, unverzüglich und dauerhaft auf die derzeitige Finanz- und Wirtschaftskrise und die in vielen Mitgliedstaaten der EU bestehende gesellschaftliche Krise zu reagieren; ist aber dennoch weiterhin bereit, an einer konstruktiven Lösung mitzuarbeiten;

2. bekräftigt seine Unterstützung für die Vorlage, die die Mitglieder, die von der Konferenz der Präsidenten als Vertreter des Europäischen Parlaments ernannt wurden, bei der Ad-hoc-Arbeitsgruppe eingereicht haben; bedauert insofern, dass die Vorschläge des Europäischen Parlaments in dem Entwurf des internationalen Abkommens vom 10. Januar 2012 keinen Niederschlag gefunden haben; weist darauf hin, dass viele Mitgliedstaaten einige der auf der Sitzung am 12. Januar 2012 unterbreiteten Vorschläge unterstützen; wird seinen Standpunkt prüfen, sobald es den für den 18. Januar 2012 erwarteten endgültigen Entwurf erhalten hat;

3. ist fest davon überzeugt, dass sich die Währungsunion nur durch Anwendung der Gemeinschaftsmethode zu einer echten Wirtschafts- und Steuerunion entwickeln kann; erinnert daran, dass die EU ein politisches Vorhaben ist, das auf gemeinsamen Werten, starken gemeinsamen Organen und der Einhaltung gemeinsamer Regeln beruht;

4. fordert darüber hinaus insbesondere, dass
– in dem neuen Abkommen ausdrücklich der Vorrang des EU-Rechts vor den Bestimmungen des Abkommens anerkannt werden sollte, – alle Maßnahmen zur Umsetzung des Abkommens nach den dafür in den EU-Verträgen vorgesehenen Verfahren getroffen werden sollten,
– das Abkommen mit dem EU-Recht in Einklang steht, insbesondere in Bezug auf die im Stabilitäts- und Wachstumspakt festgelegten Kennziffern, und dass in dem Fall, dass Vertragsparteien sich vom EU-Recht abweichende Ziele setzen möchten, die dafür geltenden EU-Rechtsverfahren eingehalten und keine doppelten Standards eingeführt werden,
– demokratische Rechenschaftspflicht gewährleistet werden muss, indem sowohl das Europäische Parlament als auch die nationalen Parlamente auf den entsprechenden Ebenen stärker an allen Aspekten der europäischen wirtschaftlichen Koordinierung und Ordnungspolitik beteiligt werden,
– die Zusammenarbeit zwischen den nationalen Parlamenten und dem Europäischen Parlament im Einklang mit den EU-Verträgen gemäß Artikel 9 des Protokolls Nr. 1 AEUV stattfindet,
– die Vertragsparteien in dem neuen Abkommen in rechtsverbindlicher Form dazu verpflichtet werden, alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit sichergestellt ist, dass das Abkommen im Wesentlichen spätestens binnen fünf Jahren in die EU-Verträge überführt wird;

5. wiederholt seine Forderung nach einer Union sowohl der Stabilität als auch des nachhaltigen Wachstums; vertritt die Auffassung, dass Haushaltsdisziplin zwar die Voraussetzung für ein tragfähiges Wachstum ist, dass sie allein aber keinen wirtschaftlichen Aufschwung herbeiführen wird, und dass von dem Abkommen die klare Botschaft ausgehen muss, dass die europäischen Staats- und Regierungschefs an beiden Fronten mit der gleichen Entschiedenheit handeln werden; fordert aus diesem Grund nachdrücklich, dass in dem Abkommen neben Vorschlägen zu einem Tilgungsfonds, zu projektspezifischen Anleihen, zu einer im EU-Recht verankerten Finanztransaktionssteuer und, bei gleichzeitiger Gewährleistung der Haushaltsdisziplin, einem Fahrplan für Stabilitätsanleihen („Eurobonds“) die Verpflichtung der Vertragsparteien vorgesehen sein muss, Maßnahmen zur Förderung von mehr Konvergenz und Wettbewerbsfähigkeit zu treffen;

6. hebt hervor, dass bei anderen die Finanzkrise betreffenden multilateralen Übereinkünften, wie dem Europäischen Stabilitätsmechanismus, dieselben institutionellen, rechtlichen und politischen Argumente gelten; fordert aus diesem Grund, dass es bei diesen Verhandlungen in der gleichen Weise einbezogen wird;

7. behält sich das Recht vor, alle ihm zur Verfügung stehenden politischen und rechtlichen Möglichkeiten zur Verteidigung des EU-Rechts und der Rolle der EU-Organe zu nutzen, vor allem, wenn Teile des endgültigen Abkommens nicht mit dem EU-Recht vereinbar sind;

8. weist die Kommission darauf hin, dass sie dazu verpflichtet ist, ihre institutionelle Rolle als Hüterin der Verträge in vollem Umfang wahrzunehmen;

9. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung den Staats- und Regierungschefs, dem Vorsitzenden des Rates, dem Präsidenten der Eurogruppe, der Kommission und der Europäischen Zentralbank zu übermitteln.

(1) Verordnung über den Ausbau der wirtschafts- und haushaltspolitischen Überwachung von Mitgliedstaaten (COM(2011)819 endg.) und Verordnung über gemeinsame Bestimmungen für die Überwachung und Bewertung der Übersichten über die gesamtstaatliche Haushaltsplanung (COM(2011)821 endg.).

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und hier der Text auf englisch:

JOINT MOTION FOR A RESOLUTION
to wind up the debate on the European Council of 8/9 December 2011, pursuant to Rule 110(2) of the Rules of Procedure, on the European Council of 8/9 December 2011

Elmar Brok, on behalf of the EPP
Roberto Gualtieri on behalf of the S&D
Guy Verhofstadt on behalf of the ALDE
Daniel Cohn-Bendit on behalf of the Greens/EFA

European Parliament resolution on the European Council of 8/9 December 2011

The European Parliament,
– having regard to the conclusions of the European Council of 9 and 10 December 2011,
– having regard to the statement of the Euro Area Heads of State and Government of 9 December 2011,
– having regard to the „Six-Pack“ and the two Commission proposals on further strengthening fiscal discipline (1);
– having regard to the state of play of the negotiations on the draft international agreement on a reinforced economic union,
– having regard to the submission made on behalf of the Parliament by its representatives in the ad hoc working group
´

1. Expresses its doubts on the necessity of such an intergovernmental agreement, most chief objectives of which can be better and more effectively achieved through EU law, to give a firm urgent and sustainable response to the current financial and economic crisis and the social crisis in many Member States of the EU; nevertheless remains ready to work towards a constructive solution;

2. Affirms its support for the submission made to the ad hoc working group by the Members nominated by the Conference of Presidents to represent the Parliament; regrets that so far the draft International Agreement of 10 January 2012 does not reflect the proposals of the European Parliament, notes the support of many Member States for some of its proposals made at the meeting of 12 January 2012; and will consider its position having received the final draft expected on 18th January 2012;

3. Is deeply convinced that only through the Community method can the Monetary Union evolve into a true economic and fiscal union; recalls that the EU is a political project based on common values and on strong common institutions and respect for common rules;

4. Insists also, in particular, that:
– The new agreement shall without ambiguity accept explicitly the primacy of EU law over its provisions;
– All measures to implement the agreement shall be taken in accordance with the relevant procedures provided for in the EU Treaties;
– The agreement must be in conformity with EU law, in particular as regards the figures in the Stability and Growth Pact, and where Contracting Parties wish to commit to targets at variance with EU law, this must be done through the applicable EU legal procedures and must not lead to the establishment of double standards;
– Democratic accountability must be respected through a strengthening of both European and national Parliamentary participation, at their own respective levels, in all aspects of European economic coordination and governance;
– Cooperation between national parliaments and the European Parliament must operate within the EU Treaties, in accordance with Article 9 of Protocol 1 to the Treaty;
– The new agreement must enshrine, in legally binding form, a commitment by the Contracting Parties to take all necessary steps to ensure that the agreement will in substance be integrated at the latest within five years into the Treaty;

5. Reiterates its calls for a Union both of stability and of sustainable growth; believes that fiscal discipline, although being the basis for sustainable growth, will not on its own bring about recovery and that the agreement must send a clear message that Europe’s leaders will take equally vigorous action on both fronts and insists therefore that the agreement must include a commitment of the Contracting Parties to measures promoting stronger convergence and competitiveness as well as proposals for a redemption fund, project bonds, a Financial Transaction Tax within EU law and, while ensuring fiscal discipline, a roadmap for stability bonds;

6. Underlines that the same institutional, legal and political aspects are concerned in relation to other multilateral agreements dealing with the financial crisis, for instance the European Stability Mechanism, therefore requests that the EP participates in the same way in these negotiations;

7. Reserves the right to use all political and legal instruments at its disposal to defend EU law and the role of the EU institutions, especially if elements of the final agreement are incompatible with EU law;

8. Reminds the Commission that it has a duty to exercise its full institutional role as guardian of the Treaties;

9. Instructs its President to forward this resolution to the Heads of State and Government, the President of the Council, the President of the Euro group, the Commission and the European Central Bank.

 

(1) Regulation on the strengthening of the economic and budgetary surveillance of Member States, COM (2011) 819 final and Regulation on common provisions for monitoring and assessing draft budgetary plans, COM (2011) 821 final