Sven Giegold

Handelsblatt: „Dann nimmt die Seuche ihren Lauf“

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In der Ukraine droht ein Bürgerkrieg. Was kann Europa machen?

Wenn Putin weiter an einer Destabilisierung arbeitet, muss der Westen härtere Sanktionen verhängen. Insofern ist es irritierend, wenn Deutschland immer wieder eine gemeinsame europäische Linie durch Geburtstagsfeiern oder private Einladungen von Konzernchefs durchbricht.

 

Wären Sie nicht zu Schröders Party mit Putin gegangen?

Um Gottes Willen, Nein.
Aber sollte man nicht jede Chance nutzen, um sich mit Putin an den Tisch zu setzen?

Ich glaube ein solches Treffen wird von Herrn Putin als Schwäche der Europäer wahrgenommen. Für solche Verhandlungen gibt es diplomatische Formen. Gerade in einer solchen Situation wäre es absolut angemessen, die einzuhalten. Das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine geht vor Wirtschaftsinteressen.

 

Rückt Europa durch die Ukraine-Krise zusammen?

Die Krise zeigt, was Chauvinismen und Nationalismen auslösen können. Wir hätten diese Krise überhaupt nicht bekommen, wenn wir vorzeitig eine stärkere Außen- und Nachbarschaftspolitik gemacht hätten. Wir müssen in Europa mit einer Stimme sprechen. Dafür müssten allerdings die Staatschefs ihre eigenen Profilierungswünsche auf der internationalen Bühne zurückschrauben.

 

Mehr Europa ist in der Bevölkerung aber nicht gerade beliebt. Bei den Wahlen am 25. Mai werden den europakritischen Parteien bis zu 30 Prozent zugetraut. Macht ihnen das Sorgen?

Ja.  Wenn das so kommt, kann es sein, dass auch ein Teil der verbleibenden Pro-Europäer denen nach dem Munde redet. Dann nimmt die Seuche ihren Lauf. Bei der CSU gibt es diese Tendenz schon. Trotzdem ist Deutschland neben Spanien das einzige große EU-Land, wo die Euro-Kritiker nicht ganz so stark sind.

 

Wo sind deren Hochburgen?

Mir macht Frankreich große Sorge. Das Wirtschaftsprogramm des rechtsextremen Front National ist total verrückt. Die wollen nicht nur den Euro abschaffen, sondern auch aus der EU austreten – und sie liegen in den Umfragen bei  25 Prozent. Dazu muss man dann noch etwa 20 Prozent Sympathisanten zählen, die die Partei nur nicht wählen, weil das Rassisten und Antisemiten sind. Doch das ist die öffentliche Meinung in unserem wichtigsten Partnerland.

 

Liegt das vielleicht auch an der verfehlten Politik von Frankreichs Präsident Hollande?

Absolut! Nehmen Sie die neuesten Defizitzahlen für Frankreich. Ich weiß aus der Kommission, dass die Zahlen gefälscht sind. Die ursprünglichen Projektionen waren negativer. Sie wurden in Modellen korrigiert.

 

Wegen der Europawahl?

Sowas gab es auch vorher schon. In Italien wurden die Daten auch so weit gedreht, dass Italien unter die drei Prozent-Grenze gekommen ist und es kein Defizitverfahren gab. Frankreich wurden Extraregeln gegeben, obwohl die Reformen nicht da waren. Ich bin überhaupt nicht unkritisch zu dem, was Herr Hollande da fabriziert. Wobei man sagen muss: Unter Sarkozy war es noch schlimmer.

 

Aber reichen Hollandes Reformen?

Nein, die Franzosen haben in vielen Produkt- und Dienstleistungsmärkten starke Regeln, die sie hemmen. Sie haben auch relevante Probleme im Rentensystem. Die EU-Kommission hat das alles aufgelistet. Die französische Regierung hat nur sehr wenig davon umgesetzt.

 

Dennoch ist die Euro-Krise zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung abgeflaut. Liegt das Schlimmste hinter uns?

Nein, das Schlimmste sind Armut und Arbeitslosigkeit. Die liegen auf Rekordhoch. An den Finanzmärkten ist dank der EZB Ruhe eingekehrt. Aber die eigentlichen Krisenursachen sind nicht beseitigt. Wir sitzen auf einer Blase von Schulden und anlagesuchendem Vermögen.

 

Was meinen Sie?

Wenn man ein langfristiges Zinsniveau von unter zwei Prozent hat, dann muss man sich nicht wundern, wenn Anleger in spekulative Objekte gehen. Deshalb wäre die richtige Antwort ein Programm, das dem Kapital etwas Sinnvolles zu tun gibt. Nämlich Anreize für Investitionen in ökologische Nachhaltigkeit.

 

Klingt nach ökologischer Planwirtschaft…

Nein, es geht uns nicht darum, dass der Staat Investitionen vornimmt. Privatunternehmen sollen durch Klima- und Umweltregeln Anreize für Investitionen bekommen. Dieser Teil fehlt in der Krisenpolitik.

 

Ein wichtiger Baustein der Rettungspolitik ist die europäische Bankenunion. Reichen die Vorschläge dazu?

Nein. So lange es einzelne Banken mit einer Bilanzsumme von 2000 Milliarden Euro gibt, muss bei einer Pleite immer der Steuerzahler für die Rechnung geradestehen. Deshalb ist die Trennung der Großbanken in kleinere Haftungseinheiten nötig. Das Investmentbanking sollte zumindest haftungstechnisch vom realwirtschaftlich orientierten Bankgeschäft getrennt werden.

 

Eine andere Konsequenz aus der Krise ist die Forderung nach einer europaweiten Finanztransaktionssteuer. Kriegen wir die?

Keine, die den Namen verdient. Geplant ist eine Börsenumsatzsteuer, inklusive der  Besteuerung einiger aktienbasierter Derivate. Dabei bleiben aber Derivate, die irgendwas abbilden, fast gänzlich außen vor. Gerade Derivate sind aber sehr kurzfristige Instrumente. Das Ziel der Finanztransaktionssteuer ist eigentlich ein Finanzsystem, das mehr auf die lange Frist schaut und weniger auf die kurze.

 

Würde das nicht auch Anleger treffen, die in Fonds für die Altersvorsorge investiert haben?

Dieses Argument habe ich nie gekauft. Die Steuer trifft nur diejenigen, die viel umschichten und hohe Umsätze machen. Solche Fonds sind aber meistens auch besonders teuer und schneiden oft schlechter ab als Fonds, die sich langfristig orientieren.

 

Wer ist Schuld am Scheitern der Finanztransaktionsteuer?

Ich muss offen sagen: Herr Schäuble nicht. Der hat das aus unserer Sicht völlig korrekt gemacht. Gescheitert ist es an zwei sozialistischen Regierungen, nämlich an Frankreich und Italien. Die haben das blockiert, obwohl Hollande damit im Wahlkampf geworben hat.

 

Einig sind sich die europäischen Regierungschefs zumindest darin, dass sie ein transatlantisches Freihandelsabkommen wollen. Warum sperren sich die Grünen dagegen?

Wir sind für Freihandel. Deutschland ist ein Exportland, Amerika unser wichtigster Handelspartner. Die verbliebenen Zölle zwischen der EU und den USA können wir gerne abschaffen. Uns stört, dass praktisch alle geltenden Standards vereinheitlicht werden sollen. Unter dieser Voraussetzung lehnen wir das Abkommen ab.

 

Ein Scheitern ginge zu Lasten vieler europäischer Unternehmen.

Absprachen, die Unternehmen von doppelter Bürokratie befreien, halten wir Grüne für sinnvoll. Doch alle Werteentscheidungen bei Verbraucherschutz, Umweltschutz, der Zulassung von Chemikalien und Medikamenten müssen aus dem Abkommen raus. Wir dürfen dabei keine Standards festlegen, die wir später nicht mehr ändern können. Sonst mottet sich die Demokratie ein.

 

Ist es nicht schädlicher, lauter Sonderregelungen zuzulassen?

Nein, das ist die Idee von Demokratie. Wir haben einen gemeinsamen Markt für 500 Millionen Menschen. Viele davon wollen die Massentierhaltung beenden. Vielleicht haben wir irgendwann auch Mehrheiten dafür – und dann gibt es ein Handelsabkommen, das besagt, dass die amerikanischen Regeln akzeptiert werden müssen. Das darf nicht sein.

 

Wer diktiert die Standards?

Es gibt hier nicht die gute EU und die bösen Amerikaner, sondern unterschiedliche Interessen. Die amerikanischen Unternehmen bestehen beispielsweise darauf, dass die Agrarregeln in das Abkommen kommen. Stichworte sind Gentechnik und Chlorhühnchen. Die Europäer sagen, sie wollen das nicht. Umgekehrt wollen die Amerikaner nicht, dass die Finanzmarktfragen in das Abkommen kommen, weil in den USA viele Regeln schon weitergehen als in Europa.

 

Die europäischen Regierungen haben die EU-Kommission beauftragt, mit den USA zu verhandeln. Welche Möglichkeiten haben Sie als Parlamentarier überhaupt noch?

Ohne Zustimmung des Europaparlaments gibt es kein transatlantisches Freihandelsabkommen. Insofern ist die Europawahl auch eine Abstimmung darüber.

 

Und im laufenden Prozess?

Sind die Möglichkeiten begrenzt. Tatsache ist, dass eine Gruppe von 13 Europaabgeordneten besonderen Zugang zu den Dokumenten bekommt – aber nur zu einigen und darüber dürfen sie auch nicht sprechen. Die interessantesten Dokumente – nämlich die Forderungspapiere der amerikanischen Seite – sind völlig außer Reichweite.

 

Könnte mit mehr Transparenz das Interesse an Europa gesteigert werden?

Das Ironische ist, dass das Europaparlament ja sehr transparent arbeitet. Unsere Debatten gibt es in allen Sprachen, die ganzen Dokumente stehen im Internet, alle Ausschusssitzungen sind öffentlich. Das heißt Transparenz alleine ist nicht der Schlüssel. Das Problem ist, dass Brüssel für viele Bürger eine Einheitsblase ist. Deshalb brauchen wir auch mehr Konflikte, die frühzeitig sichtbar werden.

 

Inwiefern?

Beim Thema Nahrungsmittelspekulation ist es uns gelungen, zusammen mit NGOs grenzüberschreitend sehr viel Wirbel zu machen – bis auch die europäischen Konservativen für gesetzliche Grenzen für Finanzmarktinvestitionen in Nahrungsmittel gestimmt haben. Aber das gibt es viel zu selten.

 

Kaum Interesse, wenig Aufmerksamkeit, geringe Wahlbeteiligung. Müsste man Europa unter diesen Vorzeichen nicht eher weniger als noch mehr Macht geben?

Es gibt für Legitimation zwei Quellen: Input und Output. Die nationalen Parlamente haben ihr Problem auf der Outputseite, denn die großen Probleme der Welt sind auf nationaler Ebene nicht mehr zu lösen. Wie wollen sie Klimawandel national bekämpfen oder die Finanzmärkte national stabil halten? Bei diesen Fragen brauchen wir internationale Demokratie. Und deshalb ist die Antwort nicht die Renationalisierung, denn sie löst keines der großen Probleme. Wir brauchen eine echte europäische Demokratie.

 

Und wie bekommen wir die?

Durch mehr Bürgerbeteiligung auf europäischer Ebene. Oder durch eine Stärkung der europäischen Wahlrechte, indem europäische Parteien gemeinsame Listen aufstellen. Dann ist es damit vorbei, dass die Konservativen in Deutschland das Gegenteil sagen von Herrn Orban in Ungarn oder von Herrn Berlusconi in Italien – alle zusammen aber trotzdem Teil einer Parteienfamilie sind.

 

Immerhin gibt es transnationale Spitzenkandidaten. Der Gewinner soll EU-Kommissionspräsident werden. Das scheint aber bei den Wählern auch nicht so gut anzukommen…

Die Zuspitzung auf die Kommissionswahl wird total entwertet, wenn die Spitzenkandidaten nicht europaweit promotet werden. Die Politisierung der Frage wer Kommissionspräsident wird, müsste ja bedeuten, dass die Parteien auch ihren Spitzenkandidaten plakatieren. Nun werben die deutschen Sozialdemokraten mit Martin Schulz, aber in England ist die Labour Party gegen ihn und in Frankreich ist er auch nicht groß auf Plakaten zu sehen. Und die CDU plakatiert in Deutschland Angela Merkel, die nicht einmal zur Wahl steht, anstatt Jean-Claude Juncker.

 

Angela Merkel bringt eben mehr Stimmen. Trauen die Menschen den Europapolitikern nicht?

Grundsätzlich zeigen die Umfragen, dass die große Mehrheit der Menschen für mehr europäische Politik ist. Gleichzeitig herrscht aber eine allgemeine Nörgel- und Grummelstimmung. Nur richtet sich dieses Gemecker viel weniger als bei nationaler Politik nicht auf ein bestimmtes Thema oder bestimmte Politiker, sondern ganz allgemein auf Brüssel. Das ist das Problem: Wir müssen die Unzufriedenheit auf die Verantwortlichen lenken.

(16.05.2014)

Das Interview finden Sie auch auf Handelsblatt.de.

 

 

 

 

 

 

 

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