Sven Giegold

Handelsblatt: Datenhandel – Grüne fordern Rücktritt des Debeka-Vorstands

Handelsblatt 13.11.2013:

Datenhandel: Grüne fordern Rücktritt des Debeka-Vorstands

von Dietmar Neuerer und Thomas Schmitt.
Nach Handelsblatt-Recherchen ist der Skandal um Datenhandel bei der Debeka-Versicherung größer als bisher bekannt. In der Politik ist die Empörung groß. Der Grünen-Finanzexperte Schick fordert harte Konsequenzen.
Berlin. Mit der Forderung nach drastischen Konsequenzen hat der Grünen-Finanzexperte Gerhard Schick auf neue Enthüllungen im Skandal um Datenhandel bei der Debeka-Versicherung reagiert. „Sollten die Informationen des Handelsblatts von heute Morgen stimmen, so sprengt der Skandal jegliche Vorstellungskraft. Die Dimension von über 100 Millionen Euro Bestechungsgeldern an über 10.000 Beamte, die über viele Jahre regelmäßig Zahlungen erhielten, zeigt, dass es sich hier nicht um die Tat einzelner krimineller Mitarbeiter handelt, sondern dass das gesamte Unternehmen systematisch involviert war“, sagte Schick Handelsblatt Online. Noch unglaublicher aber sei der interne Sprachgebrauch, der Glaube, über dem Gesetz zu stehen. „Welche bodenlose Frechheit, die korrupten Beamten auch noch mit VM, also Vertrauensmitarbeiter zu titulieren.“
Aus Schicks Sicht ist der Skandal die vorläufige Spitze von Erkenntnissen über die Zustände in Deutschlands Versicherungsbranche. Daraus müssten unbedingt Konsequenzen gezogen werden. „Dieser Skandal muss ähnlich radikal und professionell mit externer Unterstützung und neuen Köpfen aufgearbeitet werden, wie dies Siemens vor einigen Jahren gemacht hat“, sagte er. Konkret forderte Schick, den gesamten Debeka-Vorstand „sofort“ abzulösen, sobald sich bestätige, dass die Vorwürfe stimmen. „Wenn der Vorstand nicht freiwillig zurücktritt, muss ihn die BaFin abberufen, da er nicht die aufsichtsrechtlichen Kriterien der Zuverlässigkeit erfüllt.“

Heimlicher Adressenhandel: Der Debeka-Skandal

Außerdem, so Schick weiter, sei der Debeka-Vorstandschef Uwe Laue als Mitglied des Verbraucherbeirats der BaFin nicht mehr tragbar. Der Debeka-Vorstand, alle involvierten Debeka-Mitarbeiter sowie alle bestechlichen Beamten müssten zudem strafrechtlich verfolgt werden. Schick sieht außerdem Klärungsbedarf hinsichtlich der Kontrollfunktion der Versicherungsaufsicht. „Es muss geklärt werden, wie die BaFin systematische Bestechung über so viele Jahre und in dieser Dimension nicht sehen konnte, obwohl diese ein zentraler Bestandteil des Geschäftsmodells war“, sagte er. „Diese mangelhafte Aufsicht muss parlamentarisch ohne Scheuklappen aufgearbeitet werden und die notwendigen Konsequenzen müssen gezogen werden.“ Darüber hinaus müsse der Gesetzgeber den Versicherungsvertrieb neu regeln.Die Grünen-Fraktionsvize Kerstin Andreae sprach von einem handfesten Skandal, der mit dem Beamtenstatus und dem Dienstrecht in keiner Weise vereinbar sei. „Der Bundesinnenminister (Hans-Peter Friedrich, CSU) ist in der Verantwortung dafür zu sorgen, dass jetzt umfassend aufgeklärt und auch Konsequenzen gezogen werden“, sagte Andreae Handelsblatt Online. Die Debeka habe sich durch „quasi Schmiergeldzahlungen“ unfaire Wettbewerbsvorteile verschafft. „Das sollte sich das Kartellamt genauer anschauen“, betonte die Grünen-Politikerin. Auch Zweckentfremdung von Versichertengeldern sei für die Debeka nichts neues, fügte sie hinzu. „Schon im Wahlkampf hatte das Unternehmen bei ihren Mitgliedern aktiv Wahlwerbung gegen die Bürgerversicherung gemacht.“ Dieses Verhalten widerspreche eklatant den Prinzipien einer ethischen Unternehmensführung, so Andreae.Nach Recherchen des Handelsblatts unterhält die Koblenzer Debeka-Versicherung bundesweit ein Netz von mehr als zehntausend Beamten, die gegen Bezahlung bei der Vermittlung von Krankenversicherungen, Lebensversicherungen und anderen Debeka-Produkten helfen. Über die Jahre sollen auf diese Weise weit mehr als 100 Millionen Euro von der Versicherung an Beamte geflossen sein. Diese Beamte würden intern „Vertrauensmitarbeiter“ (VM) genannt und Namen und Kontaktdaten vor allem solcher Kollegen vermitteln, die gerade ihren Dienst angetreten haben.

Gewerkschafter: „Eher die Hand abhacken, als Adressen verscherbeln“

Für Rainer Wendt, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, steht mit dem Skandal die Zukunft des gesamten Debeka-Geschäftsmodells auf dem Spiel. „Wenn dahinter sogar ein System mit Tausenden von Zuträgern steht, würde das gesamte Geschäftsmodell der Versicherung infrage gestellt“, sagte Wendt dem Handelsblatt. Er selbst sei schon mehrfach von Versicherungen nach Adressen gefragt worden, fügte er hinzu. „Aber eher würde sich ein ehrbarer Beamter die Hand abhacken, als dass er Adressen verscherbeln würde.“

Fassungslos reagierte Wendt darauf, dass Beamte mit Topumsätzen offenbar einen eigenen Club bekamen und zu Reisen eingeladen wurden. „Da tun sich Abgründe auf“, sagte er. „Man kann nur hoffen, dass diese Reisen nicht in Budapester Thermen gegangen sind.“ Im Fall der Debeka sieht Wendt nun die Staatsanwaltschaft am Zug. „Es ist nicht schön für mich als Gewerkschaftschef, so etwas sagen zu müssen: Aber wenn es strafrechtliche Verstöße von Beamten gegeben hat, dann müssen die auch geahndet werden“, sagte er.
Dem Handelsblatt vorliegende Unterlagen zeigen, dass das VM-System bei Debeka seit vielen Jahren existiert. Ein bloßer Tipp, dass es an der Schule einen noch nicht versicherten neuen Referendar gibt, bringt dem Vertrauensmitarbeiter danach 50 Euro. Die Vermittlung einer Krankenversicherung wird mit mindestens 150 Euro honoriert. Und entschließe sich der junge Kollege, bei Debeka eine Lebensversicherung zu unterzeichnen, könnten 600 Euro und mehr für den Vertrauensmitarbeiter herausspringen.Die Unterlagen zeigen auch, dass sich die oberste Führungsebene der Debeka um das VM-Geschäft kümmert. So lädt der Vorstand schriftlich einmal im Jahr zu einer Reise für den „Club der Top-VM“ ein. Bei den Clubveranstaltungen erhielten „alle Teilnehmer ein Geldpräsent in Höhe von 200 Euro netto überreicht“. In einem Vorstandsschreiben vom Januar 2013 heißt es: „Darüber hinaus stellen wir für die drei besten VM jeder Geschäftsstelle eine Sonderprämie der Hauptverwaltung zur Verfügung.“Der SPD-Finanzexperte Carsten Sieling forderte eine schnelle und umfassende Aufklärung der Vorwürfe, „um verloren gegangenes Vertrauen wieder herzustellen“. Hier seien alle Seiten gefragt. „Sollte sich dabei herausstellen, dass sogar straf- oder beamtenrechtlich relevantes Verhalten vorliegt, muss es entsprechend geahndet werden“, sagte Sieling Handelsblatt Online.Wenig überrascht über die neuen Enthüllungen zeigte sich Sven Giegold, wirtschafts- und finanzpolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament. Er nannte die „etwas anrüchige Art der Akquise“ bei der Debeka sogar „gute Übung“ im Provisionsvertrieb. „Ob bei Bausparkassen, Banken, Finanzdienstleistern oder Versicherungen, überall werden die Vertriebler angehalten, Freundeskreise, Fußballvereine und Familie abzugrasen um willige Abnehmer für das nächste Schrottprodukt zu finden“, sagte Giegold Handelsblatt Online. „Solange sich Versicherungen und Finanzprodukte nicht durch Qualität, sondern durch pervertierte Anreize für die Verkäufer verkaufen, werden wir solche Schlagzeilen mit hübscher Regelmäßigkeit wieder lesen.“Der nächste Schritt sei dann „ein großer See von Krokodilstränen und das Ergebnis wird ein weiterer nutzloser Codex zum ethischen Vertrieb sein“, fügte Giegold hinzu. Die zukünftige Regierungskoalition wäre daher gut beraten, „sich mit so einer Zuckerglasur des Provisionsvertriebs nicht abspeisen zu lassen, sondern das Übel der intransparenten, provisionsgetriebenen Vertriebsvergütung grundsätzlich anzupacken“.

Debeka verteidigt Zuträger-System

Debeka machte auf Anfrage keine Angaben zu der Zahl und der Bezahlung der Vertrauensmitarbeiter. Unternehmenssprecher Gerd Benner verwies auf die internen und externen Ermittlungen, die derzeit bei der Debeka laufen. Nach der Veröffentlichung des Handelsblatt-Artikels reagierte die Versicherung dann doch. In einer Mitteilung wies das Unternehmen die Behauptung zurück, dass es sich bei den nebenberuflichen Mitarbeitern um ein „geheimes System von Zuträgern“ handele.Die Debeka sei ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, der von Beamten für Beamte gegründet wurde – und damit vergleichbar sei mit einer Genossenschaft. „Bei einem Verein auf Gegenseitigkeit ist es üblich, dass zufriedene Mitglieder auch neue Mitglieder werben“, heißt es in der Mitteilung. „Die Tippgeber sind zufriedene Mitglieder der Debeka, die mit dem ausdrücklichen Einverständnis ihrer jeweiligen Dienstherren auf Basis von § 100 des Bundesbeamtengesetzes Empfehlungen für potenzielle Neumitglieder geben dürfen.“ Sie dürften nur nicht selbst beraten. Die Tätigkeit der Tippgeber sei „vergleichbar mit Kundenwerbung für Fitnessstudios oder Zeitungsabonnements“. Nur im Falle einer erfolgreichen Vermittlung erhalte der Tippgeber eine Empfehlungsvergütung.
Anfang November hatten sich nach dem ersten Bericht des Handelsblatts über die Bestechung von Beamten durch Debeka-Mitarbeiter der Landesbeauftragte für Datenschutz Rheinpfalz-Pfalz und die Staatsanwaltschaft Koblenz eingeschaltet. Debeka ermittelt selbst und beauftragte die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG mit einer Untersuchung der Vorgänge.