Sven Giegold

Haushaltskonsolidierung: Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen?

Die EU-Kommission hat am 2./3. März unter dem Titel „Fiscal Policy in the Aftermath of the Financial Crisis“ (Fiskalpolitik in der Zeit nach der Finanzkrise) namhafte Ökonomen zu einem Meinungsaustausch nach Brüssel geladen.

Schwerpunkt der Konferenz war die Wirtschaftspolitik der EU-Mitgliedstaaten zur Bekämpfung der Finanz- und Wirtschaftskrise. Die vorgestellten Modelle analysieren die Fiskalpolitik der EU-Länder seit Ausbruch der Krise und untersuchen die Auswirkungen zukünftiger Politikalternativen.

Berechnungen von EZB und Europäischer Kommission (Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen, DG ECFIN) belegen, dass es den europäischen Staaten durch ihre expansive Fiskalpolitik während der Krise gelungen ist, das vierteljährliche Wirtschaftswachstum um 1,6 Prozentpunkte zu erhöhen. Möglich wurde dies vor allem durch die staatlichen Bankhilfen, die im Dezember 2009 mit 4,7 % des BIP ihren Höhepunkt erreichten. Der Zusammenhang zwischen Bankhilfen und Wirtschaftswachstum macht deutlich, dass die Bankhilfen nicht nur das Finanzsystem vor dem Kollaps bewahrten, sondern auch wirtschaftspolitische Effekte hatten – vergleichbar mit konventioneller Fiskalpolitik.

Table 1: Conventional fiscal stimulus measures (as % of GDP):

 

US

EU

 

2009

2010

2009

2010

Government expenditure

0.67

0.80

0.30

0.15

Transfers

0.64

0.20

0.24

0.09

Tax reductions

0.67

0.77

0.29

0.49

Total fiscal stimulus

1.98

1.77

0.83

0.73

Source: Coenen et al (2010).

Table 2: EA state aid for banks (cumulative, as % of GDP):

 

Feb-09

May-09

Aug-09

Dec-09

Oct-10

Dec-10

Apr-11

Purchases of impaired bank assets

0.43

0.45

0.75

2.84

2.15

2.00

1.94

Recapitalizations

1.09

1.45

1.67

1.88

2.17

2.21

2.11

Total bank aid

1.52

1.90

2.42

4.72

4.32

4.21

4.05

Source: Commission services (survey based)

Quelle: Kollmann/Ratto/Roeger/in’t Veld: Banks, Fiscal Policy and the Financial Crisis.[1]

Die aktuelle wirtschaftliche Situation ist durch zwei Umstände gekennzeichnet, die so bisher nicht zusammen aufgetreten sind: Angesichts hoher Schulden und eines Refinanzierungszinses von derzeit 1 % verfügt weder die Fiskal- noch die Geldpolitik über einen bedeutsamen Handlungsspielraum (sog. zero lower bound). Zugleich sind die Euroländer in der Währungsunion nicht in der Lage, durch Gelddrucken neue Schulden zu finanzieren oder den Wechselkurs zur Verbesserung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit einzusetzen. Folglich haben die Staaten – neben den unkonventionellen Maßnahmen der EZB (Aufkaufen von Anleihen der Schuldenländer) – im Wesentlichen nur zwei Optionen zur Haushaltskonsolidierung: Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen.

Als zentrale Aussage der präsentierten Ergebnisse ist festzuhalten, dass sinnvolle Sparbemühungen Steuererhöhungen grundsätzlich vorzuziehen seien. Sparen erhöhe zwar kurzfristig die Schuldenquote, sei langfristig aber besser geeignet, einen Staatshaushalt tragfähig zu machen. Allerdings müsse bei Sparvorhaben schrittweise vorgegangen werden, weil sonst die wirtschaftliche Aktivität vollständig zum Erliegen kommen könne. Die Ankündigung rigoroser Einschnitte helfe allenfalls, die Risikoprämien zu reduzieren.

Aus unserer Sicht steckt darin ein Schlüssel zur Lösung der Griechenlandkrise: Die Kürzung nicht nachhaltiger Ausgaben ist grundsätzlich der richtige Weg, solange sie sozial und ökologisch ausgewogen ist. Vor allem aber darf man nicht mit dem Vorschlaghammer vorgehen – die anhaltende Rezession in Griechenland lässt darauf schließen, dass man es mit dem abrupten Sparen übertrieben hat. Insofern hat Spaniens Premier Rajoy Recht, wenn er sich mehr Zeit nehmen will, um das Haushaltsdefizit wieder auf unter 3% des BIP zu drücken. Solange die Reformen auch wirklich Schritt für Schritt in die Tat umgesetzt werden, hat ein behutsames Vorgehen weniger negative Auswirkungen auf das langfristige Wachstum.

Daneben muss aber jede Ausgabenkürzung auch auf ihre soziale Dimension hin überprüft werden: Soll man wirklich den Mindestlohn noch weiter kürzen oder wäre es nicht viel sinnvoller, weniger Geld für Rüstung aufzuwenden? Auch in diesem Punkt wurde in Griechenland vorschnell und unüberlegt gehandelt.

Im Gegensatz zu Ausgabenkürzungen senken Steuererhöhungen kurzfristig die Schuldenquote, weil sie die laufenden Einnahmen erhöhen. Langfristig aber wirken die meisten Steuern verzerrend, beeinträchtigen die wirtschaftliche Entwicklung und gefährden so die Nachhaltigkeit des Staatshaushalts. Einschränkend ist zu bemerken, dass in den vorgestellten Modellen lediglich eine Erhöhung der Steuern auf unselbständige Arbeit betrachtet wurde.

Unserer Meinung nach schließen die präsentierten Ergebnisse Steuererhöhungen nicht grundsätzlich aus. Es muss lediglich darauf geachtet werden, dass sie nachhaltiges Wachstum nicht behindern. Die Lenkungseffekte von Steuern sollte man jedoch bewusst nutzen und deshalb Steuern einführen, die Kapital in soziale, grüne und lokale Projekte leiten. Ein Beispiel ist die Kohlendioxidsteuer, die den Konsum klimaschädlicher Waren und Dienstleistungen besteuert und deren Nachfrage entsprechend senkt. In der Folge würde mehr Kapital in die Erzeugung umweltfreundlicher Güter fließen und unser Wirtschaftsmodell würde in zweifacher Hinsicht nachhaltiger: Einerseits entstünden weniger CO2-Emissionen, andererseits würden wir unabhängiger von teuren Energie- und Rohstoffimporten. Letztere stellen bereits jetzt einen bedeutenden Kostenfaktor dar. Angesichts weiter steigender Preise wird diese Abhängigkeit allmählich zu einer ernsthaften Gefahr für den Wirtschaftsaufschwung. Schließlich tragen die gestiegenen Importkosten eine Mitschuld an den Leistungsbilanzdefiziten der Schuldenländer, die sich zur Finanzierung ihrer Defizite im Ausland verschulden müssen. Eine Verringerung der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern und endlichen Rohstoffen würde also auch die Ungleichgewichte innerhalb der Eurozone reduzieren.

Quelle: Erceg/Lindé: Fiscal Consolidations in Currency Unions: Spending Cuts Vs. Tax Hikes.[2]

Unabhängig davon, ob nun Steuern hochgesetzt oder Ausgaben heruntergefahren werden: Entscheidend für einen soliden Haushalt ist ein struktureller Primärüberschuss. Der Schuldenabbau gelingt nur, wenn ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum konstant Staatseinnahmen generiert und so sinnvolle öffentliche Ausgaben finanziert werden können.

Zwischen den auf wirtschaftliche Belange fokussierten Vorträgen blickten die Konferenzteilnehmer auch auf die politische Seite der Geld- und Fiskalpolitik der letzten Monate. In der Diskussionsrunde wurde argumentiert, dass die EZB mit dem Ankauf von Staatsanleihen der Schuldenländer das Finanz- und Wirtschaftssystem rettete, als die Mitgliedstaaten zeitweilig ihre Handlungsfähigkeit verloren hatten. Die Rettungsmaßnahme der EZB bedeutet jedoch auch einen Verstoß gegen das Demokratieprinzip: Als unabhängige Institution entscheidet die Zentralbank mit ihren Interventionen letztlich eigenmächtig darüber, welcher Staat gerettet wird und welcher nicht.

Als Mitverursacher für die Krise machten die Diskussionsteilnehmer auch die schwache europäische Bankenaufsicht verantwortlich, die exzessives Verhalten der Marktteilnehmer nicht rechtzeitig erkannt und geahndet hat. Als Konsequenz daraus müssen die Finanzmärkte besser reguliert und eine wirksame europäische Bankenaufsicht installiert werden.

Schließlich wurde auch die Finanztransaktionssteuer (FTT) betrachtet und bereits bekannte Ergebnisse einmal mehr bestätigt. Neusten Berechnungen zufolge reduziert eine FTT nicht nur die Volatilität an den Finanzmärkten, sondern auch die Verschuldungsquote der Marktteilnehmer und senkt damit das systemische Risiko. Selbstverständlich bedeutet die Erhebung einer FTT zusätzliche Kosten für einige Marktteilnehmer. Diese aber sind nur ein Bruchteil der Kosten, die durch exzessive Spekulation verursacht wurden: Rettungspakete für Banken und in der Folge staatliche Konjunkturprogramme, um die Auswirkungen der Finanzkrise auf die Realwirtschaft abzumildern. Trotz ihrer erwiesenen Vorzüge lässt die europaweite FTT weiter auf sich warten: Zuletzt wurden die Hoffnungen auf eine baldige Einführung bei der Sitzung der EU-Finanzminister (ECOFIN) Ende März enttäuscht, als Bundesfinanzminister Schäuble Alternativen zu einer Finanztransaktionssteuer ins Gespräch brachte und damit den ursprünglichen FTT-Vorschlag torpedierte (vgl. dazu auch unsere Pressemitteilung).

Der Großteil der auf der Konferenz vorgestellten Arbeitspapiere ist abrufbar unter

http://ec.europa.eu/economy_finance/events/2012/2012032_fiscal_policy/index_en.htm

 

 

Rubrik: Unkategorisiert, Wirtschaft & Währung

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