Sven Giegold

IDD/IMD II: EU stärkt Verbraucherschutz bei Versicherungsprodukten

Nach einem rund zweijährigen Verhandlungsprozess haben sich der Rat der Mitgliedsstaaten, das Europaparlament und die EU-Kommission am 30. Juni 2015 auf einen Kompromiss zur Neufassung der Versicherungsvermittlungsrichtlinie IMD II/IDD (1) geeinigt. Die IMD II/IDD ersetzt die erste Richtlinie zur Versicherungsvermittlung (IMD I). Damit bildet die IMD II den neuen gesetzlichen Rahmen für den Verkauf von Versicherungen. Wenn die Betragszahlungen bestimmte Grenzwerte überschreiten (2) fallen darunter Produkte, die mögliche Schadensfälle absichern (z.B. Risikolebensversicherung, private Krankenversicherung), genauso wie Versicherungsverträge mit einem Anspareffekt, bei denen die Kund*innen in der Regel bei Vertragsende eine Rückzahlung erhalten (sog. Versicherungsanlageprodukte wie die Kapitallebensversicherung). Die von der IMD II/IDD erfassten Produkte konkurrieren, gerade wenn es um Geldanlage geht, direkt mit den unter MiFID II (Markets in Financial Instruments Directive II/Martkrichtlinie) regulierten Investmentfondsprodukten ohne Versicherungsmantel.

Unterschiedliche Perspektiven zu Regulierung und Verbraucherschutz innerhalb der Verhandlungsgruppe des Europaparlaments haben sich im Ergebnis niedergeschlagen. Die IMD II muss nach Inkrafttreten von den Mitgliedsländern innerhalb von zwei Jahren in nationales Recht umgesetzt werden. Die Mitgliedsländer können bei dieser Mindestharmonisierung zur Ausgestaltung des Verbraucherschutzes weitergehen.

Mit dieser Entscheidung stärkt die EU die Rechte von Verbrauchern beim Kauf von Versicherungen. Versicherungen müssen zukünftig bereits bei der Gestaltung ihrer Produkte die Bedürfnisse der Kunden systematisch berücksichtigen. Der Etikettenschwindel bei Versicherungsprodukten wird damit eingedämmt. Der Schutz von Versicherungskunden ist ein Fortschritt gegenüber der bisherigen EU-Richtlinie und geht deutlich über den ursprünglichen Vorschlag der EU-Kommission hinaus.

Während die alten Regeln Koppelungsgeschäfte im Dunkeln ließ, bringt das neue Regelwerk mehr Transparenz für Kunden. Wenn etwa Versicherungsprodukte im Paket mit Sachgütern verkauft werden, sollen die Kunden über die Preise der einzelnen Bestandteile informiert werden. Kunden haben damit zukünftig die Möglichkeit, diese Einzelprodukte getrennt zu erwerben. Mehr Durchblick im Dschungel der Versicherungsprodukte schaffen auch verbesserte Produktinformationen: Ein Produktinformationsblatt für Nicht-Anlageprodukte erläutert den Verbraucherinnen kompakt die wichtigsten Informationen zum jeweiligen Produkt. Außerdem verpflichten die neuen Regeln die Versicherungsvermittler zur Fortbildung.

Ein zentraler Streit in den Verhandlungen: Grundlegende Transparenzregeln, die für Investmentfonds und andere Anlageprodukte unter MiFID II bereits EU-Gesetz sind, sollten auch für Kapitallebensversicherungen gelten. Produkte, die direkt miteinander im Wettbewerb stehen, brauchen faire und gleichmäßige Rahmenbedingungen.

Nach zähen Verhandlungen sind in der IMD II/IDD mit MiFID II vergleichbare Regeln an entscheidenden Stellen verankert. Das Europaparlament folgte dabei weitestgehend dem Rat der Mitgliedsstaaten. Vermittler können auch weiterhin Provisionen kassieren, jedoch dürfen solche Zahlungen keinen negativen Einfluss auf die Beratung haben. Dieses Negativ-Kriterium erfasst ein breiteres Spektrum an möglichen negativen Einflüssen durch Provisionszahlungen, wie z.B. höhere Kosten für den Verbraucher oder anschließende Beratung mit geringer Qualität. Damit legt das neue Regelwerk die Messlatte in diesem Punkt für Servicequalität höher als die MiFID II-Regulierung.  Außerdem erhält die Europäische Kommission den Auftrag, durch einen sog. delegierten Rechtsakt Standards auszuarbeiten, wie negativer Einfluss der Provisionszahlungen auf die Beratungsqualität eingedämmt werden kann. Hier bewegen sich die neuen Regeln zur Versicherungsvermittlung im Gleichschritt mit den MiFID-Regeln. Auch bei der Offenlegung der Kosten eines Versicherungsprodukts gelang eine deutliche Annäherung an die MiFID II- Regeln. Alle Kosten und Gebühren, die mit dem Versicherungsprodukt zusammenhängen, müssen gegenüber dem Kunden offengelegt werden.

Trotz dieser Fortschritte bleibt das neue Regelwerk zur Versicherungsvermittlung aber hinter einer konsequenten Angleichung an MiFID II bei den Regeln zu Versicherungsanlageprodukten zurück. Der federführende Berichterstatter Werner Langen (EVP/CDU) ist diese Aufgabe nur halbherzig angegangen. Vor allem bei der Offenlegung von Provisionszahlungen fallen die neuen Regeln hinter MifID II zurück: Zukünftig muss für diese Zahlungen nur die Art der Vergütung offengelegt werden, während Verkäufer von Investmentfonds auch die Summe der Provisionszahlung gegenüber dem Kunden ausweisen müssen. Die neuen Regeln sichern im Gegensatz zu MiFID II auch nicht das Anforderungsprofil des unabhängigen Beraters. Unabhängige Berater dürfen künftig Provisionen der Anbieter von Kapitallebensversicherungen kassieren, bei Investmentfonds ist ihnen das untersagt. Der deutsche Gesetzgeber ist nun gefordert, hier im Sinne der Verbraucher zu handeln.

Trotz einigen deutlichen Lücken verbessert das neue Regelwerk den Verbraucherschutz gegenüber der spärlichen Vorgängerregeln aus IMD I und steigert die Transparenz für Verbraucher bei Versicherungsgeschäften. Das Europarlament wird voraussichtlich im September zur IMD II/IDD im Plenum abstimmen und damit seine endgültige Zustimmung zu den neuen Gesetzen für den Versicherungsvertrieb geben.

 

(1) IMD II (Insurance Mediation Directive – Versicherungsvermittlungsrichtlinie), tritt laut gestriger Einigung in Kraft mit dem Titel IDD (Insurance Distribution Directive – Versicherungsvertriebsrichtlinie).

(2) Zentraler Schwellenwert für die Erfassung von Versicherungsprodukten durch IMD II/IDD: Eine jährliche Beitragszahlung von mindestens 600 Euro, bei kürzer laufenden Verträgen wird die Beitragszahlung auf 12 Monate hochgerechnet. Ausnahme: Wenn Versicherungsprodukte die mit einer Dienstleistung verbunden sind (z. B. Reiseversicherung) und diese Dienstleistung nicht länger als drei Monate dauert, dann gilt pro Person ein Schwellewert von 200 Euro für die Abdeckung durch IMD II/IDD. Für alle Versicherungsprodukte unter diesen beiden Schwellenwerten muss der Versicherungsvermittler Mindestinformationen bereitstellen, deren Umfang von der Komplexität des Produktes abhängt (“Proportionalitätsprinzip”)

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