Sven Giegold

Lobby-Transparenz im Europäischen Parlament: Christdemokraten nehmen Lobby-Register als Geisel im Kampf gegen verbindliche Regeln

Heute Morgen haben Christdemokraten und Liberale verhindert, dass der Ausschuss für konstitutionelle Fragen (AFCO) zum ersten Mal überhaupt über eine verbindliche Lobbytransparenz abstimmt. Gestern hatte der Juristische Dienst des Parlaments endlich seine Stellungnahme zu drei Kompromissvorschlägen des britischen Sozialdemokraten Richard Corbett, Berichterstatter für die Reform der Geschäftsordnung des Parlaments, veröffentlicht. Während der Juristische Dienst den Antrag der Grünen für eine Pflicht von Abgeordneten, nur registrierte Lobbyisten zu treffen, für unverhältnismäßig und illegal erklärte, befürworteten die Anwälte des Parlaments einen verbindlichen legislativen Fußabdruck für Abgeordnete, die EU-Gesetze als Berichterstatter, Schattenberichterstatter oder Ausschussvorsitzende mitverfassen. Der Fußabdruck sei im Einklang mit der Freiheit des Mandats der Abgeordneten. Mit einem verbindlichen legislativen Fußabdruck sind Amtsträger unter den MdEPs verpflichtet, ihre Lobbysitzungen zu veröffentlichen. Der Fußabdruck erlaubt Klarheit für die Bürger, ob ihre Abgeordneten nur registrierte Interessenvertretern treffen und wie ausgewogen der Einfluss auf EU-Gesetze ist. Die Bürger hätten Gewissheit, wer die für sie geltenden Gesetze beeinflusst.

Die Abstimmung im AFCO ist nun für den 6. Dezember nach einem neuen Treffen der Schattenberichterstatter geplant. Bei diesem Treffen soll noch einmal über den Kompromiss zur Lobbytransparenz beraten werden. Eine Abstimmung im Plenum könnte zwischen 11. und 13. Dezember in Straßburg stattfinden. Jede Verzögerung bei der Entscheidung des Parlaments über seine Position zu verbindlicher Lobbytransparenz für die Abgeordneten verzögert auch die mögliche Wiederaufnahme der Verhandlungen zwischen Parlament, Kommission und Rat über ein stärkeres EU-Transparenzregister für Lobbyisten. Die Institutionen hatten seit April verhandelt, seit Juli stecken die Verhandlungen in einer Sackgasse. Die Kommissare haben sich und ihre wichtigsten Mitarbeiter seit Ende 2014 zu verbindlicher Lobbytransparenz verpflichtet, nur registrierte Lobbyisten zu treffen und alle Lobbytreffen zu veröffentlichen. Frans Timmermans, Verhandlungsführer der Kommission für Lobbytransparenz und sozialdemokratischer Spitzenkandidat für die Europawahl, ist nur dann bereit, sich auf eine neue interinstitutionelle Vereinbarung (IIV) zu einigen, wenn Parlament (und Rat) zu ebenso verbindlichen Regeln bereit sind. Timmermans hatte die Änderungsanträge der Grünen in einer AFCO-Diskussion begrüßt, auf denen die Corbett-Kompromisse beruhen. Bisher sind Parlament und Rat nur zu freiwilliger Lobbytransparenz von bereitwilligen MdEPs und Mitgliedstaaten-Vertretern bereit. Eine weitere Verzögerung würde kaum Zeit für den erfolgreichen Abschluss der interinstitutionellen Verhandlungen vor den Europawahlen im Mai 2019 lassen.

MdEP Sven Giegold, Berichterstatter des Europäischen Parlaments für Transparenz, Rechenschaftspflicht und Integrität in den EU-Institutionen und Spitzenkandidat von Bündnis 90/Die Grünen zur Europawahl, kommentiert:

„Die Zeit für politische Tricks ist vorbei. Christdemokraten und Liberale sollten endlich eine demokratische Abstimmung zulassen, ob die Europaabgeordneten bereit sind, den Bürgern Lobbytransparenz in der Gesetzgebung zu garantieren. Die Anwälte des Parlaments haben grünes Licht für einen verbindlichen legislativen Fußabdruck gegeben und bestätigt, dass er im Einklang mit der Freiheit des Abgeordnetenmandats steht. Die Christdemokraten sollten jede weitere Behinderung einer demokratischen Entscheidung stoppen. Sie haben sich seit Jahren auf diese rechtlichen Bedenken berufen und als einzige Fraktion gegen die Entschließung des Parlaments zur Transparenz gestimmt.

Die Suche nach einem besseren Kompromiss darf die Verhandlungen zwischen den EU-Institutionen über ein stärkeres Transparenzregister nicht als Geisel nehmen. Jede weitere Verzögerung der Entscheidung des Parlaments würde es nahezu unmöglich machen, mit einer erfolgreichen Transparenz-Reform der EU-Institutionen zu den Wählern zurückzukehren. Nach jahrelangen Diskussionen darüber, wie die derzeitigen Schwächen behoben werden können, wäre ein Scheitern geradezu Wahlkampfhilfe für Populisten, nur darauf warten Europa dafür anzugreifen“.

 

HINTERGRUND

Kompromisse mit der Unterstützung des Rechtsdienst des Europaparlaments:

COMP No 2: Covers AM 68 – Rule 11 – paragraph 2a (new)

“Members should publish online all scheduled meetings with interest representatives falling under the scope of the Transparency register. Rapporteurs, shadow rapporteurs and committee chairs shall, for each report, publish online all scheduled meetings with interest representatives falling under the scope of the Transparency register. The Bureau shall provide for necessary infrastructure on Parliament’s website.”

COMP No 3 – Rule 11a (new paragraph)

The Bureau shall provide the necessary infrastructure on Member’s online profiles on Parliament’s website for those Members who wish to publish a voluntary audit or confirmation, as provided for under the applicable rules of the Statute for Members and its implementing rules, that their use of the General Expenditure Allowance complies with the applicable rules of the Statute for Members and its  implementing measures.

Der Kompromiss, den der Rechtsdienst des Parlaments verworfen hat als illegal:

COMP No 1 : Covers AM 66 and 67 – Rule 11 – paragraph 2

Sentence to be added: “Rapporteurs, shadow rapporteurs and committee chairs shall only meet those interest representatives that have registered in the Transparency Register.”

Entschließung des Europäischen Parlaments vom 14. September 2017 zu Transparenz, Rechenschaftspflicht und Integrität in den EU-Organen:

http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P8-TA-2017-0358+0+DOC+XML+V0//DE

  • 4. ist der Ansicht, dass Berichterstatter, Schattenberichterstatter und Ausschussvorsitze in den Geltungsbereich des Transparenz-Registers fallende Sitzungen mit Interessenvertretern zu Dossiers in ihrem Zuständigkeitsbereich mithilfe besonderer Formulare (legislativer Fußabdruck) veröffentlichen sollten und Ausnahmen von dieser Vorgehensweise nur zum Schutz des Lebens und der Freiheit von in gutem Glauben handelnden Informanten greifen dürfen;
  • 11.  ist der Auffassung, dass die Mitglieder des Europäischen Parlaments, die als Berichterstatter, Schattenberichterstatter oder Ausschussvorsitze fungieren, angesichts ihrer Rolle im Rechtsetzungsverfahren der EU eine besondere Verantwortung dafür tragen, ihre Kontakte zu Interessenvertretern offenzulegen;
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