Sven Giegold

Mein Interview im Deutschlandfunk:
Anti-Steuerfluchtgesetze wurden von der Bundesregierung hintertrieben

Deutschlandfunk:

Giegold: Steuerfluchtgesetze wurden von der Bundesregierung hintertrieben

Grüner EU-Politiker fordert Vorgehen gegen aggressive Steuervermeidung

Sven Giegold im Gespräch mit Jürgen Zurheide

Das Europaparlament habe immer wieder eingefordert, scharf gegen Steueroasen vorzugehen, sagt Sven Giegold, EU-Parlamentarier von Bündnis 90/Die Grünen. „Die Bundesregierung war dabei an den verschiedenen Gesetzgebungsbaustellen ein äußerst unzuverlässiger Partner.“

Jürgen Zurheide: Guten Morgen, Herr Giegold!

Sven Giegold: Ja, guten Morgen, Herr Zurheide!

Zurheide: Gibt es denn und brauchen wir ein neues Rettungspaket, wie ist Ihre Einschätzung?

Giegold: Also wir brauchen auf jeden Fall ein neues Programm, allerdings muss das nicht so aussehen wie die bisherigen Programme. Die Bundesregierung und auch die europäischen Partner hatten ja bisher immer einen falschen Dualismus: Entweder man verordnet den Ländern Sparprogramme und treibt die Wirtschaft hinunter, womit die Schulden natürlich faktisch noch größer werden, oder man schreibt Schulden ab. Das ist aber nicht die einzige Alternative, vor der diese Länder stehen.

Zurheide: Welche Alternativen gäbe es auch Ihrer Sicht?

Giegold: Zentral ist, auch in Griechenland stehen den öffentlichen Schulden hohe Privatvermögen entgegen, laut Angaben der Europäischen Zentralbank immerhin 260 Prozent am Bruttoinlandsprodukt. Die Verschuldungen des Staates sind etwa 170 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Gerade in Griechenland: Vermögen hoch konzentriert, Steuerflucht wird breit betrieben. Und es ist bitter, dass auch dieses Mal wieder von der Bundesregierung nicht zu hören ist, dass man, wenn es schon ein neues Programm gibt, diesmal dafür sorgt, dass auch die Vermögenden im eigenen Land herangezogen werden.

Zurheide: Wie würden Sie das bewerkstelligen, wenn Sie es könnten, was müsste da passieren? Das Geld ist ja zum Teil im Ausland – wie kommt man da ran, kann man das überhaupt?

Giegold: Also, ein Teil des Geldes liegt natürlich auch im Inland. In Griechenland, da werden Maßnahmen ergriffen, aber unzureichend. Und auf die Umsetzung wird nicht ausreichend geachtet. Im Ausland – natürlich kann man das. Die Amerikaner machen es ja gerade vor, wie man mit Steueroasen umgehen kann. Und die Fortschritte dort bisher sind eben äußerst ungenügend und wurden auch mit den Rettungsprogrammen in keinster Weise verknüpft. Die Vermögenden wurden gerettet – ist ja auch deren Geld, das gerettet wurde -, aber sie wurden nicht herangezogen. Und auf die Umsetzung der Steueroasenprogramme wurde in dem Zuge überhaupt nicht geachtet.

Zurheide: Das heißt, Sie werfen der Bundesregierung vor, das bewusst nicht zu tun. Oder wie interpretieren Sie das politisch?

Giegold: Ja, also ich schätze das so ein, das hätte man im Rahmen der griechischen Programme die Beteiligung der Vermögenden durchgesetzt, wäre ja sofort die Frage entstanden, wie ist das in Deutschland. Aus guten Gründen fordern wir ja auch in Deutschland eine Vermögensabgabe, weil die Staatsverschuldung im Zuge der Krise wurde ja auf Kosten der Allgemeinheit um 20 Prozent das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland angehoben. Und bezahlt werden soll das von allen, obwohl die Bankenrettungsprogramme auch in Deutschland ja auch vor allem denen genützt haben, die hohes Geldvermögen haben.

Zurheide: Jetzt hören wir auf internationalen Konferenzen, wenn die G-Länder zusammensitzen, egal, wie groß die Runde dann ist, ja, wir machen da was ernsthaft gegen Steuerhinterziehung – alles nur Wortgeklingel?

Giegold: So pauschal würde ich es nicht sagen. Es war vielmehr so, dass die letzten Jahre, die wir das im Europaparlament ja die ganze Zeit begleitet haben … das Parlament hat immer wieder eingefordert, scharf gegen Steueroasen vorzugehen. Die Bundesregierung war dabei an den verschiedenen Gesetzgebungsbaustellen ein äußerst unzuverlässiger Partner. Erst ganz zuletzt, nachdem die Amerikaner so viel Druck ausgeübt haben und in Deutschland das Steuerabkommen mit der Schweiz gescheitert ist, erst seitdem gibt es überhaupt ernst zu nehmende Handlungen. Und im Gesetzgebungsprozess wurde mehrfach härteren Forderungen aus dem Europaparlament, wurden die abgelehnt oder sogar hintertrieben vonseiten der Bundesregierung.

Zurheide: Jetzt hat es gerade in dieser Woche noch eine interessante Entwicklung gegeben, da müssen wir zunächst mal beleuchten, was heißt das eigentlich. Die Schweizer Banken haben – und das ist intern verhandelt worden zwischen der Schweiz und der Bundesrepublik – die haben jetzt den einfacheren Zugang zum deutschen Markt bekommen. Was bedeutet das erst mal?

Giegold: Ja, das fordern die Schweizer Banken schon sehr lange. Und das bedeutet, dass sie vollständig gleichgestellt werden mit Banken aus EU-Ländern. Und einen solchen Marktzugang kann man den Schweizer Banken ruhig geben, allerdings erst ganz am Ende des Prozesses, also dann, wenn sämtliche Voraussetzungen tatsächlich erfüllt sind und nicht ein Verhandlungsprozess begonnen wurde. Wir sind jetzt ja dank den Amerikanern so weit, dass mit den Schweizern die EU verhandeln wird über ernsthaften Informationsaustausch. Aber wir sind noch nicht da angekommen. Deshalb ist es eigentlich ein vergebenes Faustpfand.

Zurheide: Das heißt, man hatte etwas gegeben, ohne was zu bekommen?

Giegold: Ohne mehr zu bekommen als Absichtserklärungen.

Zurheide: Dann kommen wir noch zu einem anderen Punkt, wo es ja auch Debatten gegeben hat: Die Kollegen der ARD haben das aufgedeckt, die Kollegen aus der Sendung „Die Story“ hatten das diese Woche. Da geht es um länderbezogene Berichtspflichten, das ist ein Aktionsplan der OECD. Auch da sollten Sie uns zunächst erklären, was bedeutet das eigentlich?

Giegold: Also dabei geht es vor allem darum, dass im Rahmen der Transparenzrichtlinie auf europäischer Ebene vereinbart wurde, das für Unternehmen aus dem Rohstoffbereich in Zukunft offengelegt werden muss, wo wie viel Steuern bezahlt werden in welchem Land und wie viel Gewinne gemacht wurden. Dadurch kann die Öffentlichkeit das erkennen, was bisher in der Regel geheim ist, nämlich wer am meisten Steuern schiebt. Im Europaparlament gab es Stimmen, das auf andere Sektoren auszuweiten, zum Beispiel auf den Bausektor, der auch korruptionsanfällig ist, und weitere Sektoren. Und die Bundesregierung hat sich im Verhandlungsprozess – und da war federführend Herr Rösler und das Wirtschaftsministerium – aktiv dafür eingesetzt, dass diese Ausweitung nicht kommt. Dahinter stand auch der Bundesverband der deutschen Industrie, der das überhaupt nicht wollte, obwohl Europa die richtige Ebene ist, um das einzuführen, weil man dann nämlich wenig Marktverzerrungen bekommt. Also es war wirklich sehr bitter, es hätte die aggressive Steuervermeidung von vielen Großunternehmen effektiv begrenzen können.

Zurheide: Ich lese das mal wörtlich vor, was das Bundeswirtschaftsministerium da offensichtlich geschrieben hat: „Deutschland kann eine Erweiterung der länderbezogenen Berichtspflicht auf weitere Bereiche, wie Branchen wie Banken, Telekommunikation und Bau in keinem Fall mittragen.“ Das ist die Passage, die Sie meinen?

Giegold: Das ist die Passage, die ich meine. Was man noch sagen muss: Das Europaparlament hat es dann mithilfe einer anderen Richtlinie geschafft, dass zumindest für die Großbanken das in Zukunft gilt. Die müssen tatsächlich in Zukunft länderbezogen berichten, alle anderen nicht. Das steht jetzt wieder in den Absichtserklärungen der G-20-Finanzminister. Ob das aber jetzt eingeführt wird, ist natürlich erst mal noch unklar. Und die Chance, die wir gehabt haben, wurde unter anderem wegen des Drucks der Bundesregierung vergeben.

Zurheide: Wenn wir da jetzt einen Strich drunter ziehen, kommt man ja fast zu dem Schluss, wenn ich Ihnen zuhöre, na ja, da wird auf internationalen Konferenzen vieles beschlossen, möglicherweise auch schöne Worte gefunden, aber die Realität sieht dann immer anders aus. Müssen wir das weiter hinnehmen, dass die Großkonzerne ihre Gelder dahin schieben, wo sie am Ende keine Steuern zahlen?

Giegold: Also unterm Strich würde ich so sagen: In den vier Jahren ist eigentlich effektiv gegen aggressive Steuervermeidung durch Schwarz-Gelb nichts passiert. Und auch auf internationaler Ebene ist nichts passiert. Die Chancen, die es gab – da gab es noch ein paar mehr: engere Zusammenarbeit mit Frankreich, die Mutter-Tochter-Richtlinie, die Zins- und Lizenzgebührenrichtlinie, die Diskussion um Mindeststeuersätze – überall war die Bundesregierung nicht auf der Seite, die wirklich hart was wollten. Aber zuletzt unter vor allem dem Druck der Amerikaner ist es gelungen, im Bereich der Steueroasen was zu bewegen. Bei der aggressiven Steuervermeidung ist bisher nichts passiert. Wir haben einen Verhandlungsprozess bei der OECD, bei dem völlig unklar ist, wann und ob der wirklich zu Ende kommt.

Zurheide: Letzter Punkt, um das auch noch abzuschließen: Eine Finanzmarkttransaktionssteuer, ich hätte fast gesagt, das ist so wie, Loch Ness taucht immer mal auf, und dann kommt sie doch nicht. Ist das auch so?

Giegold: Das würde ich etwas anders sehen. Die Gefahr ist sehr groß, dass die Finanztransaktionssteuer völlig verwässert wird. Das bedeutet insbesondere, dass sie eben nicht auf Derivate angewendet wird, was aber der größte Teil der Finanztransaktionen ist, sondern bei einer reinen engen Börsenumsatzsteuer verbleibt. Allerdings ist hier die Bundesregierung auf der richtigen Seite. Und die Probleme entstehen im Moment vor allem in Frankreich und in Italien und natürlich durch ein massives Lobbying der Finanzindustrie, die diese Steuer scheut wir der Teufel das Weihwasser.

Zurheide: Es gibt noch viel zu tun auf europäischer Ebene bei Finanzmarkttransaktionssteuer und anderen Steuerdingen, aber eben auch bei der Beteiligung der Vermögenden. Das zumindest sagt Sven Giegold von den Grünen, für die Grünen im Europaparlament. Herr Giegold, ich bedanke mich für das Gespräch! Auf Wiederhören!

Giegold: Gerne!

Rubrik: Unkategorisiert

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