Sven Giegold

Nach Ostern: Einige ruhige Gedanken zur Diskussion um den Karfreitag

Einige Aussagen unseres NRW-Landesvorsitzenden Sven Lehmann zur Karfreitagsruhe haben eine öffentliche Diskussion ausgelöst. Einige zugespitzte Sätze bei einem Gespräch mit der Rheinischen Post (RP) genügten, hunderte von Äußerungen auf wdr.de, Svens Blog, Wortmeldungen aller Parteien in NRW und des EKD-Ratsvorsitzenden auszulösen. Sven kritisierte v.a. die Einschränkungen für Tanzveranstaltungen, Komödien, Sportveranstaltungen, usw. nach dem NRW-Gesetz über Sonn- und Feiertage. Die zentralen Zitate aus der RP:

„Jeder solle den Karfreitag ’nach seiner Fasson begehen“, “ Es kann nicht sein, dass die Minderheit der Leute, die christlichen Glauben aktiv praktiziert, der Mehrheit vorschreibt, wie sie den Tag zu verbringen hat, und ihr durch das Verbot bestimmter Veranstaltungen den Abend vermiest“, „ Solche Vorschriften passten ’nicht mehr in unsere Zeit und sollten abgeschafft‘ werden.“

Und etwas später schreibt er auf seinem Blog: „Diese Regelung ist Obstruktion gegenüber der persönlichen Freiheit, sich sein Freizeitverhalten selbstbestimmt auszuwählen …. Wenn es so etwas geben soll wie eine „verordnete kollektive Ruhe“, dann müsste der Gesetzgeber konsequenterweise auch das Programm in einigen Privatsendern verbieten, Kneipen grundsätzlich schließen, Bordellbesuche untersagen oder private Feiern in den eigenen vier Wänden. Und das sind nur einige wenige Beispiele, die die Absurdität der Zwangs-Bestillung im öffentlichen  Raum untermauern. Jeder sollte einen solchen Feiertag nach seiner Fasson begehen – im jeweiligen Respekt vor anderen.

Gleichzeitig gab es auf dem Frankfurter Römer einen Flashmob-Tanz (http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,758761,00.html) als spontanen Protest gegen das sogenannte „Tanzverbot“ an Karfreitag. Auf twitter wurde der hashtag („#tanzverbot“) rund um Karfreitag zum Spitzenreiter der twitter-Themen.

Die zahlreichen Reaktionen zeigen, wie klärungsbedürftig das Verhältnis von Kirche und Staat ist. Eine gesellschaftliche und politische Diskussion dieses Themas ist wirklich dringend.  Wenn Svens zugespitzte Äußerungen dazu beitragen, dass zumindest innerhalb der Grünen die Debatte nun ernsthafter geführt wird, dann wäre das positiv. Es ist nicht klug, das vielfache Unwohlsein an den historisch gewachsenen Verschränkungen zwischen Religion und Staat einfach vor sich hin wabern zu lassen.

Trotzdem stimme ich Svens Aussagen in Inhalt und Form nicht zu. Im Kern argumentiert unser ansonsten von mir sehr geschätzter Landesvorsitzender, dass der Staat sich nicht einzumischen habe, wie die BürgerInnen einen bestimmten Feiertag zu verbringen haben.  Die Feiertage selbst hält er für einen großen Wert, die weiteren Vorgaben sind aber Vorschriften einer Minderheit, Vermiesung von Abenden, Obstruktion persönlicher Freiheit, Zwangs-Bestillung usw. Dabei übersieht er, dass schon die gesetzliche Einrichtung eines Feiertags einen tiefen Eingriff in individuelle Freiheitsrechte darstellt. IndividualistInnen argumentieren daher immer wieder, dass auch der arbeitsfreie Sonntag eine unzulässige Beschränkung persönlicher Freiheit darstellt. Regelmäßig wird gefordert, dass zwar ein Tag die Woche für jeden und jede arbeitsfrei sein solle, aber dies nicht für alle der Sonntag sein müsse. So gäbe es keinen Grund für geschlossene Läden am Sonntag, wenn gesichert sei, dass jede und jeder einen Tag die Woche frei habe. IndividualistInnen wenden sich damit auch gegen die entsprechende Norm des Grundgesetzes  in Art. 140, Art. 139 der Weimarer Reichsverfassung übernimmt: „Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt“.

Die individualistische Argumentation der Vermiesung, Obstruktion, Zwangs-Bestillung, usw. lässt sich genauso gegen den Sonntag und Feiertage ins Feld führen, wie gegen die Ruhegebote am Karfreitag, Heiligabend, usw. Arbeitsfreie Tage sind individualistisch kaum zu rechtfertigen, sie sind vielmehr öffentliche Güter, auf die sich die Mehrheit einer Gesellschaft verständigt, um Ziele zu erreichen, die einzeln nicht zu verwirklichen sind. Nur durch gemeinsame arbeitsfreie Tage entstehen Zeiten, an denen zumindest die große Mehrheit der Gesellschaft sich in Familie, Vereinen, Gemeinde, usw. treffen kann. Nur durch gemeinsame Regeln lässt sich die Stille eines Heiligabends oder die Ruhe eines Karfreitags erleben. Wenn jeder Einzelne seine jeweiligen Konsum-, Kultur-  oder Partywünsche auch zu diesen Zeiten verwirklichen könnte, wäre es mit dem öffentlichen Gut der Ruhe und Stille zu bestimmten Zeiten dahin. Wenn jede und jeder alles zu jeder Zeit dürfte, würde die Gesellschaft ärmer. Die Freiheit des Einzelnen, zerstört die Freiheit der großen Mehrheit sich auf die gemeinsame Verwirklichung öffentlicher Güter zu verständigen. Hinzu kommt:  Man kann nicht nur für sich arbeiten oder große Kulturveranstaltungen durchführen, man zieht andere hinein – sei es durch Arbeit oder Lärm.

Die Mehrzahl unserer Feiertage sind christlich entstanden, sie haben aber auch für Nicht- oder Anders-Gläubige einen großen Wert. Für mich ist nicht nur die Abwesenheit von Erwerbsarbeit eine Errungenschaft, sondern auch Zeiten gemeinsamer Ruhe sind ein wertvolles öffentliches Gut.

Sicher ist immer wieder neu auszuhandeln, wie weit individuelle Freiheiten zur Realisierung öffentlicher Güter beschränkt werden dürfen. Sicher ist nicht logisch, dass Lustspiele geschlossen, Bordelle aber geöffnet haben. Wenn man aber wie Sven arbeitsfreie Sonntage und Feiertage will, so verbietet sich die Aufladung durch die Rede von „Vermiesung“ und co. Denn ohne Beschränkung individueller Freiheiten sind die Ziele öffentlicher Feiertage nicht zu haben.  Die Heftigkeit der Reaktionen zeigt, dass eine neue Aushandlung nötig ist.


Quelle: verdi.de