Stuttgarter Zeitung, 4.10.2013
EU-Arbeitslosenversicherung erst in ferner Zukunft
Eurozone Die Kommission weicht angesichts der Reformmüdigkeit ihre Ideen für eine Sozialunion auf.
Von Christopher Ziedler, Brüssel. Das Dokument liest sich wie ein eindringlicher Appell, die Eurozone umzubauen. „Die Krise hat Schwächen im Design der Wirtschafts- undWährungsunion offengelegt“, schreibt die EU-Kommission, „zusammen mit der nicht mehr vorhandenen Möglichkeit, einseitig Wechselkurse und die Geldpolitik zu verändern, ist die Fähigkeit der Mitgliedstaaten auf ökonomische Entwicklungen und deren soziale Konsequenzen zu reagieren, erheblich eingeschränkt worden.“ Deswegen sei es, so die Behörde, „im kollektiven Interesse der Währungsunion, dass soziale und beschäftigungspolitische Probleme richtig angepackt werden“. Sie schlägt angesichts der Negativrekorde in Südeuropa eine „Arbeitslosenversicherung für den Euroraum“ vor.
Von diesen Sätzen aber, die sich in einem dieser Zeitung vorliegenden Entwurf aus dem April finden, ist in der EU-Verlautbarung vom Mittwoch kaum mehr etwas übrig geblieben. Statt eines grundlegenden Umbaus steht in den Plänen zur „Stärkung der sozialen Dimension der Wirtschafts- und Währungsunion“, die Kommissar Laszlo Andor in Brüssel vorstellte, „dass es im kollektiven Interesse der Währungsunion ist sicherzustellen, dass Strukturreformen zur Bekämpfung sozialer und beschäftigungspolitischer Probleme umgesetzt werden“.
Die Handschrift Merkels erkennbar
Das klingt nun – vereinfacht gesagt – viel mehr nach Angela Merkel als nach François Hollande. Vor einem Jahr hatte die Bundeskanzlerin ein eigenes, begrenztes Budget für die Eurozone ins Spiel gebracht, um soziale Probleme in Staaten abzumildern, die einen harten Reformprozess durchlaufen. Der französische Staatschef hatte dies zum Anlass genommen, einen viel größeren Eurofonds zur Abfederung makroökonomischer Schocks etwa in Gestalt einer gemeinsamen Erwerbslosenzahlung vorzuschlagen.
Dem hatte sich EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy zumindest teilweise angeschlossen. Der EU-Gipfel im Dezember vertagte schließlich das ganze Vorhaben einer Eurozonenreform – nach Angaben von EU-Diplomaten – auf Druck von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die ihren vorherigen Reformansagen zum Trotz keine weiteren Finanzzusagen in Europa abgeben wollte. „Van Rompuys Fahrplan zur Zukunft der Eurozone stirbt einen langsamen, aber sicheren Tod“, sagte der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold: „Ein Vorschlag nach dem anderen stirbt oder wird zur Unkenntlichkeit verwässert.“
Die neuen Kommissionspläne fügen sich in dieses Bild. Angekündigt wird etwa eine stärkere Überwachung der Mitgliedstaaten anhand sozialpolitischer Indikatoren. Bis jetzt findet dies im Rahmen des sogenannten Europäischen Semesters vor allem im Bereich der Wirtschafts- und Finanzpolitik statt. Entgegen seiner ursprünglichen Absicht konnte Kommissar Andor nicht durchsetzen, dass bei Überschreitung bestimmter Grenzwerte von Brüssel aus Gegenmaßnahmen verordnet werden könnten–die Sozialpolitik soll ausschließlich Sache der Nationalstaaten bleiben. Es werde, so der Ungar, „keine automatischen Auslöser“ auf EU-Ebene geben.
Lediglich „weiter erörtert“ werden soll auch die Frage, ob es regelmäßige Treffen der Arbeits- und Sozialminister im Format der Eurogruppe geben soll. Die Idee, die Jobbörse Eures langfristig zu einem vollständigen Stellenportal auszubauen, um die Mobilität der Arbeitnehmer in Europa zu unterstützen, ist ebenfalls nicht neu. Der Präsident des Europaparlaments, der SPD-Politiker Martin Schulz, bezeichnete dies als „nicht ambitioniert genug“.
Die Pläne liegen in der Schublade
Dabei liegen die weiter gehenden Pläne bei der EU-Kommission schon in der Schublade. Im April-Papier war noch vorgesehen, in der ersten Jahreshälfte nächsten Jahres eine öffentliche Anhörung zur paneuropäischen Arbeitslosenversicherung zu organisieren. Davon ist keine Rede mehr. Jetzt heißt es zu der an das amerikanische System angelehnten Idee, abhängig von einer bestimmten Arbeitslosenrate die Hälfte des nationalen Arbeitslosengelds europäisch zu erstatten, ihre Umsetzung verfüge über „keine legale Basis“ und erfordere daher „eine substanzielle EU-Vertragsänderung“. Dem CSU-Europaabgeordneten Markus Ferber geht dagegen schon die bloße Erwähnung der Idee in einemoffiziellen Papier zu weit. Dies stelle den „Startschuss für die Vergemeinschaftung der Sozialsysteme“ dar.