Sven Giegold

Über den Rothaarsteig

Der Himmel war düster und grau verhangen. Die Herbststimmung prägte diesen Sonntag, als wir mit etwa 20 Mitwandernden unter Führung von Rothaarsteig-Ranger Fred Hansen mit dem örtlichen Bundestagskandidaten Heiko Kosow eine kleinere Wanderrunde zurücklegten. Insekten waren kaum noch unterwegs. Von Vögeln war nicht mehr viel zu hören. Trotzdem waren etliche WandererInnen rund um den Höhenort Schanze im Hochsauerlandkreis unterwegs. Über 156 km zieht sich der Steig entlang des Kamms des Mittelgebirgszugs im Osten von NRW und Nordwesten Hessens. Mit den Zubringer- und Nebenwegen sind es sogar über 600 km.

Der von Fichten geprägte Wald hier ist noch schwer gezeichnet von den Schäden des Sturms Kyrill. Überall liegen große Flächen offen, viele sind immer noch nicht aufgeforstet. Denn viele private Waldbauern hat der Sturm an den Rande des Ruins getrieben. Umso schlimmer, dass das mit EU-Mitteln co-finanzierte Aufforstungsprogramm nicht gut angenommen wird. Es war eigentlich eine gute Idee mit öffentlichen Geldern zu fördern, dass statt der standortfremden Fichte zukünftig Laubhölzer und v.a. Buchen gepflanzt werden. Denn die Fichte wird angesichts der Klimaveränderungen große Probleme bekommen, weil sie die schon jetzt beobachteten längerern Trockenperioden im Sommer nicht aushält. Leider wurden die Fördergelder zu niedrig angesetzt, so dass kaum ein Waldbauer die Gelder abrief. Das gesparte Geld will die Landesregierung nun wohl im Landeshaushalt verplanen. Wenn dort nicht ein Umdenken einsetzt, wird es wohl noch dauern, bis die Wiederaufforstung umfassend in Gang kommt. Die nach Kyrill und Wirtschaftskrise gesunkenen Holzpreise sind – trotz langfristig günstiger Erwartungen – einfach nicht Anreiz genug.

Spannend war den Erlebnissen und Erfahrungen von Fred Hansen zu lauschen. Bei der Umweltbildung mit Schulklassen fällt ihm jedenfalls auf, dass den Kids immer mehr die Sprache für die Erlebnisse in der Natur abhanden kommt. Im Wald gibt es dann „Tannen mit Sträuchern“, wobei mit den Tannen Fichten gemeint sind. Der Biounterricht hat sich so verändert, dass Artenkenntnis kaum noch Lehrziel ist und auch die jetzige Elterngeneration verfügut nicht über genügend Naturwissen. Umso wichtiger ist die Arbeit der Ranger und der Biologischen Stationen in NRW.

Ökonomisch ist der Rothaarsteig ein Erfolgsprojekt. 1,5 Millionen BesucherInnen kommen jedes Jahr, um hier zu wandern. Sie bringen 33 Mio. € zusätzlichen Umsatz in die angeschlossenen Regionen. Das hat 800 Arbeitsplätze geschaffen. Der Wander- und Fahhradtourismus hat für immer mehr Regionen eine wichtige wirtschaftliche Bedeutung. In meinem letzten Kurzurlaub konnte ich mir im Dorf Zinse selbst ein Bild davon machen. Obwohl dieser kleine Ortsteil von Erndtebrück nicht ganz direkt am Rothaarsteig liegt, reichten die zusätzlichen Übernachtungen, um nach Auskunft der BesitzerInnen des „Landhaus am Rothaarsteig“, die Pension weiterzubetreiben. Ohne Rothaarsteig wäre diese gemütliche Unterkunft nun dicht und die BetreiberInnen ärmer.

Auch wenn die Zahl der Übernachtungsgäste seit Start des Steigs im Verhältnis zu den Tagessgästen abnimmt, so steigt doch die Zahl der WandererInnen immer noch jedes Jahr an. Ca. 40% der BesucherInnen kommen direkt aus der Region, alle anderen bringen Geld von außen in den ländlichen Raum.

Viel Interesse weckt auch der „Kyrill-Pfad“ am Rothaarsteig, wo man über gefallene Bäume kraxeln kann und Informationen zum Sturmschaden erhält. Alleine mind. 75.000 BesucherInnen kommen alleine dorthin.

Es ist nicht auszudenken, wenn sich damals die Straßenbau-Lobby von CDU, IHK und co. durchgesetzt hätten. Dann wäre ein relevanter Teil des heutigen Wanderwegs nun eine Autobahn. Hier zeigt sich wieder: Die wirkliche politische Frage der Wirtschaftspolitik ist nicht, ob Wirtschaft gefördert wird, sondern welche!

Doch auch beim Betrieb des Rothaarsteigs ist nicht alles einfach. Das Erfolgsgeheimnis des Wanderwegs liegt nicht nur in seiner landschaftlichen Schönheit, sondern auch in den vielen Angeboten entlang des Wegs. Ein Höhepunkt ist der „Waldskulpturenpfad“, der sich künstlerisch im LandArt-Stil mit gesellschaftlichen Themen und dem Mensch-Natur-Verhältnis auseinandersetzt. Großartig finde ich den übergroßen, goldenen Bischofsstab bei Schanze, der vor lauter Gewicht fast umfällt. Ebenso spannend die künstlerische Verarbeitung des jahrhundertelangen Grenzstreit zwischen dem Katholischen Köln und dem evangelischen Wittgenstein. Die Skulpturen wurden natürlich politisch heftig attackiert. Zu teuer seien sie (bisher 1,2 Mio. €), lautete der Hauptvorwurf. Heute bringen sie – jenseits von ihrem eigenen Wert – zahlreiche kunstbegeisterte Gäste in die Region.

Diskussionen löst derzeit auch der Wiesent aus. Der immer noch mächtige Graf von Sayn-Wittgenstein hat sich in den Kopf gesetzt, noch zu Lebzeiten den ehemals heimischen Wiesent wiederanzusiedeln. Das wäreerfreulich und nur konsequent, denn die Tiere wurden vom Menschen durch Jagd ausgerottet. Außerdem kann man jetzt schon vorhersagen, dass die scheuen Tiere wieder das Interesse vieler BesucherInnen wecken werden. Auch Luchs und Wolf könnten im Rothaargebirge wieder heimische werden…

Ein weiterer Feind des Rothaarsteigs sind Haftungsfragen. Nach aktuellem, von Richtern geschaffenem Recht sind nun WaldbesitzerInnen für den Zustand der Wege verantwortlich, etwa wenn Äste fallen. Leider hat die große Koalition das Umweltgesetzbuch, wegen CSU-Blockade, nicht mehr auf den Weg gebracht und damit auch nicht die Reform des Bundeswaldgesetzes. Mit dem Umweltgesetzbuch sollte der gesunde Menschenverstand wieder im Wald ankommen: Wer im Wald wandern, haftet selbst, wenn Holz von oben fällt.

Wandergrün

Sven Giegold

Rubrik: Europa vor Ort, Wanderungen

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