Sven Giegold

Verantwortungseigentum: Meine Rede zur Rolle des gebundenen Vermögens in der sozial-ökologischen Marktwirtschaft

Liebe Freundinnen und Freunde,

Liebe Interessierte,

im Ampel-Koalitionsvertrag konnten wir erfolgreich die Idee einer neuen und gesicherten Rechtsform für „Gesellschaften mit gebundenem Vermögen“ verankern. Die Stiftung Verantwortungseigentum hat zwischenzeitlich eine große Konferenz zum Thema durchgeführt, um der wirtschaftspolitisch begrüßenswerten Forderung Nachdruck zu verleihen. Dort habe ich eine Rede gehalten, die das Vorhaben in den Kontext einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft stellt und auch den Zusammenhang zur gemeinwohlorientierten Wirtschaft diskutiert. Doch lest selbst unten die durchgesehene schriftliche Fassung meiner Rede oder schaut das Video hier:

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Viele Grüße aus Berlin

Sven Giegold

 

Stiftung Verantwortungseigentum

https://stiftung-verantwortungseigentum.de/

Video meiner Rede

https://youtu.be/oFyuLrcsXMc

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Meine verschriftliche Rede

 

Sehr geehrter Herr Steuernagel,

Lieber Armin,

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

 

herzlichen Glückwunsch zu dieser überzeugenden Konferenz. Sie stellt unter Beweis, wie viele Unternehmen und Unternehmer*innen sich rechtliche Klarheit für ihr gebundenes Vermögen wünschen.

Doch bevor ich zur Position unseres Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz komme will ich kurz erzählen, wie ich selbst zum Unterstützer Eurer und Ihrer Idee geworden bin. Vor einigen Jahren begegnete ich bei einer der vielen Bahnfahrten als Europaabgeordneter nichtsahnend Eurem Armin Steuernagel. Der kommt so nett rüber und in Kürze ist man bei den Vorzügen des Verantwortungseigentums (wie es damals noch hieß) und was man gefälligst dafür zu tun habe. Mich selbst erinnerte die Idee gleich an mein Studium und die Kapitalneutralisierung in Genossenschaften und selbstverwalteten Unternehmen. Also, ehrlich Armin Steuernagel ist ein großartiger und überzeugender Handlungsreisender für Euer und Ihr Anliegen!

 

Doch nun zu unserem Haus in der Bundesregierung: Dass wir im BMWK die Schaffung der im Koalitionsvertrag vereinbarten Gesellschaft mit gebundenem Vermögen als eigenständige Rechtsform unterstützen, ist bekannt. Über die Details muss natürlich in einem Gesetzgebungsverfahren geredet werden. Ich möchte Ihnen an dieser Stelle auch Grüße von Robert Habeck ausrichten. Mit ihm haben wir das Verantwortungseigentum mit parteiübergreifender Unterstützung in den Koalitionsvertrag gebracht. Jetzt ist die Zeit, das Projekt umzusetzen und dafür stehen wir in der Verantwortung.

 

Lassen Sie mich aber trotzdem vorab eins klarstellen: Es gibt viele Beispiele hervorragender und nachhaltiger Unternehmensführung in den verschiedensten Rechtsformen. Es liegt mir also fern, irgendeine Gesellschaftsform per se zu glorifizieren oder zu verteufeln. Und ich setze mich auch dafür ein, dass Unternehmen in jeder Rechtsform Ihrer gesellschaftlichen Verantwortung entsprechend handeln.

In diesem Kontext blicken wir auch mit großer Zuversicht auf die Diskussion zur „Corporate Sustainability Due Diligence“-Richtlinie oder die neue Fassung des Deutschen Corporate Governance Kodex, um nur einige Beispiele der Entwicklungen zu nennen, die auch auf das Handeln klassischerweise primär gewinnorientierter Gesellschaftsformen starken Einfluss nehmen werden.

 

Es ist wichtig als Haus der sozialen Marktwirtschaft – welches wir als Wirtschaftsministerium sind – zu begründen, warum wir diese Rechtsform aus wirtschafts- und ordnungspolitischen Gründen wollen.

 

Das beginnt ganz trivial damit, was die heutige Veranstaltung mal wieder ganz anschaulich zeigt: Es gibt eine erhebliche Nachfrage nach dieser neuen Gesellschaftsform. Lassen Sie uns dies einmal in den wirtschaftspolitischen Kontext einordnen:

Indem wir hoffentlich bald dieses neue „Rechtskleid“ nähen, folgen wir einer guten ordnungspolitischen Tradition der Wirtschaftspolitik: Wir bringen die gesellschaftsrechtlichen Leitplanken für unternehmerisches Handeln in Einklang mit dem sich dynamisch verändernden Marktumfeld. Wir erweitern – etwas flapsig gesagt – den Baukasten um ein Modul, das es bisher nicht gibt, nach dem aber häufig gefragt wird und bei dem die „Kunden“ sich immer wundern, dass es bisher nicht bereitgestellt wird.

 

Individualisierung und Pluralität unserer Gesellschaften spiegeln sich in der Unternehmenswelt und erfordern unterschiedliche unternehmerische Antworten.

 

Die Weiterentwicklung der Rechtsformen schafft zunächst also mehr „Wahlfreiheit“ für Unternehmerinnen und Unternehmer, um sich erfolgreich im nationalen und internationalen Wettbewerb zu positionieren. Die Ökonomen Lars Feld und Bruno Frey haben es so formuliert: „Es geht darum, das Spielfeld auszuweiten“.

 

Ich sehe – trotz aller aus verschiedenen Richtungen vorgebrachten Bedenken – keine durchgreifenden Gründe, warum der Gesetzgeber diesem Freiheitsbedürfnis nicht entsprechen sollte.

 

Im Gegenteil, ich sehe durchaus im allgemeinen gesellschaftlichen Interesse liegende Gründe, die sich über die als solche schon sehr relevante Förderung der Privatautonomie hinaus für dieses Projekt anführen lassen:

 

Das aus meiner Sicht wohl schlagkräftigste ökonomische Argument für eine Gesellschaft mit gebundenem Vermögen ist die Neigung üblicher Kapitalgesellschaften zur „Kurzsichtigkeit“.

 

Die Gründe für diesen „shorttermism“ sind bekannt und gut erforscht: Berichtssaisonalität auf Kapitalmärkten, „excessive risk-taking“, Informationsasymmetrien und Unvollkommenheiten bei Leistungsanreizen des Managements, immaterielle Werte, die sich nicht in Börsenwerten abbilden, um nur einige zu nennen.

Unter diesem Gesichtspunkt hat die Gesellschaft mit gebundenem Vermögen großes Potential als Korrektiv zu wirken, da sie gewissermaßen Ihrer DNA nach auf eine langfristig ausgerichtete, selbständige Unternehmensführung programmiert ist. Damit werden günstige Bedingungen geschaffen u.a. für Resilienz, Wertbasierung, den schonenden Umgang mit Ressourcen, die Gestaltung günstiger Arbeitsbedingungen und Investitionen in langfristig einsetzbare Produktionsmittel.

Dies ist so wichtig, weil es dabei um Anreize für Innovationen geht, die wir dringend aus dem Unternehmenssektor zur Lösung der großen globalen Probleme benötigen. Anreize für Innovationen und Investitionen, die mit längerfristigen Risiken einhergehen und sich erst langfristig auszahlen, sind im gesamtwirtschaftlichen Interesse. Die Vergrößerung der Vielfalt der Rechtsformen und ihrer unterschiedlichen Anreizstrukturen, ist wirtschaftspolitisch nicht nur im sozial-ökologischen Sektor sinnvoll. Vielmehr stabilisiert sie das Ökosystem der Unternehmen insgesamt.

 

Die neue Rechtsform würde außerdem in zweierlei Hinsicht zur Chancengleichheit beitragen:

Erstens könnten wegen der angestrebten Handelbarkeit der Anteile zum Nennwert auch nicht besonders vermögende Menschen leichter in die Gesellschafterstellung gelangen, wenn sie von der „Fähigkeiten und Wertefamilie“ aufgrund Ihrer persönlichen Eignung aufgenommen werden. Insofern möchte ich gerne nochmals den Herren Feld/Frey beipflichten, die insoweit von einem von Herkunft und Kaufkraft unabhängigen „meritokratischen Prinzip“ schreiben.

Zweitens würde die neue Rechtsform es auch jungen Unternehmen ermöglichen, glaubhaft zu versprechen, das Unternehmen auch im Interesse der kommenden Generationen betreiben zu wollen, so wie es deutsche Familienunternehmen bereits seit vielen Jahren vorleben. Deshalb ist auch die Entgegensetzung von dieser Initiative und familien- und mittelstandsgebundenen Unternehmen ein falscher Gegensatz: Das ergänzt sich. Das ist kein Gegeneinander.

 

Apropos Familienunternehmen: Nachfolgemöglichkeiten von Familienunternehmen als Motor des deutschen Mittelstands und der deutschen Wirtschaft würden erweitert.

Markenzeichen von Familienunternehmen sind (und insofern sind sie ja gerade Vorbild für das Konzept des gebundenen Vermögens), dass sie nicht nach kurzfristiger Gewinnmaximierung um jeden Preis streben. Sie setzen vielmehr auf Wertentwicklung und Gewinnoptimierung über einen längeren Zeitraum.

Dahinter stehen das Interesse an einem dauerhaften Bestand des Familienbetriebs und ein ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein gegenüber Belegschaft und Standort.

Einer KfW-Studie zufolge (13.07.22) werden rund 465.000 mittelständische, vor allem kleine Betriebe, bis Ende 2025 geplant oder ungeplant ihr Geschäft aufgeben.

Daraus lässt sich der politische Auftrag ableiten, Unternehmensnachfolgen möglichst zu erleichtern.

 

Eine Gesellschaft mit gebundenem Vermögen als Gestaltungsmöglichkeit würde es erleichtern, den Charakter des Familienunternehmens auch unabhängig von dem Vorhandensein geeigneter Erb*innen in der genetischen Familie zu bewahren.

Insbesondere in Bereichen wie Wohnen und Gesundheit kann die Vermögensbindung große Vorteile für das Allgemeinwohl bringen, weil personalisierte Anlageinteressen außen vor bleiben.

 

Ökonomisch sehe ich für die Gesellschaft mit gebundenem Vermögen aber auch Herausforderungen.

 

Ein wichtiger Aspekt in der ökonomischen Betrachtung betrifft die Anreizstruktur im „Treuhändermodell“. Dort wird zunächst das Gewinnstreben als Triebfeder unternehmerischen Handelns durch intrinsische Motivation ersetzt. Zwar mag diese zu Höchstleistungen anspornen und steht praktisch oft in einem engen Zusammenhang mit einer Gemeinwohlorientierung.

 

Auch wird die „Prinzipal-Agent“-Problematik durch den Grundsatz des aktiven Gesellschafters – im Gegensatz zum „absentee owner“ adressiert.

 

Aber reicht das allein auch aus, damit der -angestrebte – langfristige Erfolg sich einstellt?

 

Mir geht es darum, wie der Antrieb zu Innovation und Erneuerung, der in gewinnmaximierenden Unternehmen mit der Disziplinierung durch die Kapitalgeber erfolgt, in einem Unternehmen mit gebundenem Vermögen dauerhaft aufrechterhalten werden kann.

 

Denn das eherne Gesetz der Oligarchie des berühmten Soziologen Robert Michels gilt grundsätzlich überall. Ein Blick in die Wirtschaftsgeschichte zeigt entsprechend, dass Genossenschaften – als Gesellschaftsform mit regelmäßig viel neutralisierten (neudeutsch: gebundenem) Eigentum – in innovativen Sektoren häufig gescheitert sind, weil es ihnen nicht gut gelungen ist, Innovation und Dynamik dauerhaft zu erhalten. Denn der mögliche Nutzen aus Innovation und Veränderung ist nun anders als bei den Kapitalgebern nicht mehr ohne mögliche Interessenskonflikte konzentriert. Bei einer Gesellschaft mit gebundenem Vermögen ist zwar anders als bei den meisten Genossenschaften das Kapital weiter konzentriert, aber ein starker materieller Anreiz zur Maximierung der Kapitalerträge fehlt.

 

Deshalb ist es so wichtig, in der Corporate Governance eine Lösung für dieses Problem zu finden, wie es etwa den Mondragón-Genossenschaften in Spanien mit regelmäßigen, eingebauten Innovationsmotoren gelungen ist.

 

Dieser Hinweis bezieht sich aber auf die Corporate Governance dieser Unternehmen und nicht auf die Rechtsform als solche. Es ist – wie bei allen Unternehmen – wichtig, die Rechtsform durch eine passgenaue und dem Ziel entsprechende Corporate Governance zu ergänzen. Das spricht nicht gegen die hier diskutierte neue Rechtsform. Es zeigt nur, dass es auch innerhalb dieser neuen Rechtsform besondere Herausforderungen geben wird.

 

Zum Schluss: Mit unseren Kolleginnen und Kollegen im Bundesjustizministerium arbeiten wir daran, die gesetzliche Grundlage für die neue Rechtsform zu schaffen. Von den dortigen vermuteten Zweifeln im Grundsatz war heute Vormittag ja kaum noch etwas zu spüren. Damit sollte dem gemeinsamen Ansinnen eigentlich nichts mehr im Wege stehen. Was im Koalitionsvertrag steht, gilt.

 

Was wir Ihnen aber nicht abnehmen können, ist die unternehmerische Aufgabe, eine moderne, sich stetig weiterentwickelnde Corporate Governance-Struktur zu entwickeln, welche Gesellschaften im „Verantwortungseigentum“ langfristig zum Erfolg führt.

 

Unsere Aufgabe ist es jetzt, das zu entwerfen, was Sie fordern: Nämlich eine eigene Rechtsform für die Anliegen, die Sie verfolgen, und zwar in der Unternehmensstruktur, für die Sie sich einsetzen. Für diese Freiheit in einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft stehen wir gerne ein. Fordert uns dabei! Vielen Dank.

 

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Sven Giegold

Staatssekretär

Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz

Rubrik: BMWK

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