Sven Giegold

Warmlaufen: Die ersten beiden Tage

Den Start des Weltsozialforums bildet die Auftaktdemonstration. Der bunte Marsch von vielleicht 20.000 Menschen führte durch die Innenstadt von Tunis. Die Auftaktdemo ist das Paradepferd des Weltsozialforums. Hier zeigt sich, ob das Forum bei der lokalen Zivilgesellschaft angekommen ist. Die Demonstrationen bieten eine einzigartige Mischung aus globalisierter und lokaler Zivilgesellschaft und sozialen Bewegungen. An der Zusammensetzung konnte man gut sehen, wer alles gekommen ist, aber auch wer fehlte.

06Sichtbar wird aber auch die politische Atmosphäre des Forums. Während sich die Sozialforen in Lateinamerika aber auch Mumbai stärker um große politische Ideen, Utopien und Ideologien drehten, zeichnet sich bei diesem Forum wie schon im Senegal und Kenia ab: Hier geht es um die konkreten Proteste und Anliegen. Auf der Demo ging es um das Recht auf Wohnen, Mütter protestierten mit Bildern ihrer bei der Flucht über das Mittelmeer gestorbenen Söhne, Gewerkschafter wollen anständige Löhne, AktivistInnen fordern offene Grenzen & Bewegungsfreiheit, usw… Rote Fahnen sah man fast überhaupt nicht, wenn überhaupt dominierten nationale Fahnen: Tunesien, Algerien und Palästina. Die Demo war vergleichsweise alt, wobei die Jüngeren sich zeitökonomisch verhielten: Sie gingen gleich zum Abschlusskonzert und sparten sich die Latscherei. Bitter war, dass es weder im Programm noch auf der Demo Aktivitäten der LGBT-Bewegung gibt. Das Verbot der Homosexualität in Tunesien konnte auch hier nicht durchbrochen werden.

Politisch steht das Forum unter dem Eindruck der ersten Jahre des Arabischen Frühlings. In Tunesien wählten die BürgerInnen bei freien Wahlen zu 40% die Islamistischen Parteien, die jahrelang unter großen Opfern gegen die Diktatur gekämpft hatten. Die politische Linke hat sich jüngst zu einem breiten Bündnis zusammengeschlossen (front populaire), auch die kleine und wenig begeisternde Grüne Partei. Allerdings kreisen die Linksparteien im wesentlichen um die Fragen der Staatsphilosophie: Laizismus versus islamischer Staat. Das interessiert die meisten Menschen jedoch nur wenig. Sie wollen wissen: Woher kommt Arbeit? Woher soziale Rechte? Was passiert mit den sozialen Errungenschaften? Besonders der Zivilgesellschaft ist zu verdanken, dass die Regierung bisher davor zurückgeschreckt ist, etwa die Scharia einzuführen oder die Rechte der Frauen zu beschränken. Auf ökonomischen Feld hat die seit neustem vereinigte Linke jedoch nicht viel Konsistentes zu bieten.

01Die Veranstaltungen auf dem Forum sind gut besucht. Einen Schwerpunkt bilden die Veranstaltungen zu Klimaschutz und Klimagerechtigkeit. Einen wirklichen Überblick zu den verschiedenen Netzwerken habe ich bisher noch nicht.

Hinter den Kulissen des Weltsozialforums knirscht es allerdings ganz gewaltig. Einer der Gründer, der Brasilianer Chico Whitaker, will den Internationalen Rat auflösen und das zentrale Forum schwächen. Das gut funktionierende Sekretariat des WSF in Brasilien wurde bereits stark heruntergefahren. Wie es mit dem Forum weitergeht, steht daher zu Beginn des WSF völlig in den Sternen.

 

Meinen Bericht vom letzten Weltsozialeforum findet Ihr hier: report_wsf_2011 (pdf, 500 KB)

Einen guten Artikel über die wichtigsten Themen dieses WSF des geschätzten französischen Bewegungsintellektuellen Gustave Massiah findet Ihr auf Französisch hier: les enjeux du FSM 2013 report_wsf_2011 (pdf, 214 KB)