Der Ausschuss für Wirtschaft und Währung (ECON) des Europäischen Parlaments hat heute, am 10. November 2020, mit 33 Stimmen bei 21 Gegenstimmen und 3 Enthaltungen für den Niederländer Frank Elderson als Nachfolger von Yves Mersch im Direktorium der EZB gestimmt. Grüne, Sozialdemokraten und Linke hatten im Vorfeld die fehlende Berücksichtigung weiblicher Kandidatinnen im Auswahlprozess scharf kritisiert und erklärt, deshalb gegen den Kandidaten zu stimmen. Die Wahl erfolgte geheim und stellt eine Empfehlung für das Plenum des Parlaments dar, das voraussichtlich Ende November seine Position festlegen wird. Die endgültige Entscheidung über die Ernennung Eldersons fällt anschließend der Ministerrat, der an die Empfehlungen von EZB und Parlament nicht gebunden ist.
In einer starken Resolution hatte das Plenum des Parlaments im vergangenen Jahr festgelegt, bei der Besetzung von Spitzenpositionen in EU-Finanzinstitutionen Bewerber*innenlisten zu ignorieren, die nicht mindestens eine weibliche Kandidatin und einen männlichen Kandidaten aufweisen. Dies hatte der ECON-Ausschuss im Vorfeld auch in einem Brief an die Eurogruppe noch einmal unterstrichen. Mit dem alleinigen Kandidaten Elderson wurde diese Forderung durch die Eurogruppe jedoch schlicht ignoriert. Auch in der Vorauswahl gab es mit dem Slowenen Boštjan Jazbec nur einen männlichen Gegenkandidaten.
Der Konflikt zwischen der Eurogruppe und dem Europaparlament bei der Besetzung des EZB-Direktoriums ist nicht neu. Schon bei den Ernennungen von Yves Mersch 2012, Luis de Guindos 2018, Philip Lane 2019 und Fabio Panetta 2020 kritisierte das Parlament mangelnde Geschlechterausgewogenheit bei der Auswahl. Aktuell besteht das sechsköpfige EZB-Direktorium aus vier Männern und zwei Frauen, Präsidentin Christine Lagarde und Isabel Schnabel. Letztere sind auch die beiden einzigen Frauen im EZB-Rat, der aus dem Direktorium und den 19 Präsidenten der Zentralbanken der Eurozone besteht und das oberste Entscheidungsgremium der EZB darstellt.
Sven Giegold, finanzpolitischer Sprecher der Fraktion Grüne/EFA im Europäischen Parlament, erklärt:
“Die Wahl Eldersons ist ein erneuter Rückschlag für die Geschlechtergerechtigkeit in den EU-Finanzinstitutionen. Das Geschlechterverhältnis im EZB-Rat ist unverändert desaströs. Von den 25 Mitgliedern sind gerade einmal zwei weiblich. Dabei gibt es kaum ein Gremium, das gerade in Krisenzeiten mehr Einfluss hat. Die Zeit der Forderungen und Appelle ist deshalb vorbei. Auswahlverfahren ohne weibliche Kandidatin darf es nicht mehr geben. Das Parlament muss konsequent seine eigenen Beschlüsse umsetzen und einseitige Kandidierendenlisten schlicht ignorieren. Ansonsten wird das völlig inakzeptable Auswahlverfahren durch die Eurogruppe scheinbar legitimiert.
Wir Grünen haben aus Gründen der Geschlechtergerechtigkeit gegen den Kandidaten gestimmt. Das ist uns nicht leicht gefallen, gerade weil er für starken Klimaschutz in Finanzaufsicht und Geldpolitik steht. Persönliche Eignung muss das ausschlaggebende Kriterium bei der Vergabe von Spitzenpositionen sein. Aber es muss sowohl männliche als auch weibliche Kandidierende geben. Mit ihrem Komplettverzicht auf eine weibliche Kandidatin hat die Eurogruppe den Auswahlprozess empfindlich beschädigt.“
Hintergrund:
Nachdem Anfang Oktober die Eurogruppe Elderson als Kandidaten bestimmt hatte und der EZB-Rat vergangene Woche seine Zustimmung signalisierte, erschien Elderson gestern, am 9. November 2020, zur Anhörung vor dem ECON-Ausschuss. Ein Videomitschnitt seiner Anhörung kann hier abgerufen werden. Der Fragenkatalog, den der Kandidat im Vorfeld der Anhörung beantworten musste, findet sich hier. Frank Elderson ist unter fachlichen Gesichtspunkten ein starker Kandidat. Seit 2011 leitet er die Bankenaufsicht der niederländischen Zentralbank. In seiner Amtszeit verfolgte Elderson auch Initiativen für ein grüneres Finanzwesen. So gründete er die niederländische “Sustainable Finance Platform”, die Notenbanker*innen und Finanzminister*innen mit zivilgesellschaftlichen Organisationen in Kontakt bringt, und etablierte als Mitgründer das “Network for Greening the Financial System” von Zentralbanken und Aufsichtsbehörden.
Sollte der Ministerrat Frank Elderson ins Direktorium der EZB berufen, kann er zum Vize-Chef des gemeinsamen Bankenaufsichtsmechanismus (SSM) ernannt werden. Dieser Entscheidung muss dann das Europaparlament in einem eigenständigen Verfahren samt Anhörung zustimmen.
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Videomitschnitt der Anhörung von Frank Elderson vor dem ECON-Ausschuss am 9. November 2020:
https://multimedia.europarl.europa.eu/en/committee-on-economic-and-monetary-affairs_20201109-1645-COMMITTEE-ECON-1_vd
Fragenkatalog, den Frank Elderon im Vorfeld seiner Anhörung vor dem ECON-Ausschuss beantwortet hat:
https://sven-giegold.de/wp-content/uploads/2020/11/Questionnaire-Frank-Elderson-final.pdf
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