Sven Giegold

EU-Kommission zu Selmayr: lernunwillig und unglaubwürdig

Heute wurde Antwort der EU-Kommission auf die Vorwürfe der EU-Ombudsfrau im Fall der Ernennung von Martin Selmayr zum Generalsekretär der EU-Kommission veröffentlicht: https://www.politico.eu/wp-content/uploads/2018/12/488-2018_and_514-2018_reply.pdf

Die Ombudsfrau hatte mehrere Missstände bei der Ernennung kritisiert, darunter die künstliche Dringlichkeit der Ernennung von Martin Selmayr als Generalsekretär Minuten nachdem der bisherige Generalsekretär Alexander Italianer seinen Rücktritt erklärt hatte. Aber Selmayr-Vorgänger Alexander Italianer hatte viele Monate im Voraus seinen Rücktritt gegenüber Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker für Februar 2018 angekündigt und tat, was er sagte. Martin Selmayr wusste von dem angekündigten Rücktritt ebenfalls Monate vorher.

Dazu sagt der Berichterstatter des Europäischen Parlaments für Transparenz, Rechenschaftspflicht und Integrität in den EU-Institutionen, Sven Giegold:

“Die Antwort der Kommission an die Ombudsfrau zum Fall Selmayr ist unglaubwürdig und zeugt von Lernunwilligkeit. Die Kommission gibt sich überrascht von einem monatelang angekündigten Rücktritt, weil sie ihn verhindern wollte. Diese Selbstdarstellung der Kommissionsführung als realitätsunwillige Träumer ist entlarvend. Ein geordnetes Nachfolgeverfahren unterblieb, weil die Kommission die Realität nicht wahrhaben wollte oder gezielt die Regeln umgehen wollte. So oder so, eine Blitzbeförderung wie bei Selmayr muss in Zukunft ausgeschlossen werden.

Die Kommission stellt Ernennungen durch Versetzung ohne eigentlich vorgeschriebene interne Ausschreibung und Auswahl als normal dar. Das Parlament hatte im Gegenteil offene und transparente Berufungsverfahren für die Zukunft als Regel gefordert. In Zeiten von Skepsis und Misstrauen gegenüber der Europäischen Union haben Jean-Claude Juncker und Martin Selmayr Öl ins Feuer gegossen und den Eindruck der Europäischen Union als Selbstbedienungsladen befeuert. Der EU-Kommissionschef sollte diese Belastung durch eine Neuordnung der Auswahlverfahren rechtzeitig vor der Europawahl erledigen. Das Europäische Parlament darf nicht nur mit dem Finger auf andere zeigen, Präsident Antonio Tajani muss die Besetzung seiner Führungsposition offen und transparent machen.”

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Heute öffentlich gewordene Erklärung der EU-Kommission: https://www.politico.eu/wp-content/uploads/2018/12/488-2018_and_514-2018_reply.pdf

“The Commission also rejects the observation that it would have created an artificial time constraint; on this point both the President and his former Head of Cabinet tried, until the very last day, to convince the former Secretary-General to stay on in his function, and it is only on 20 February 2018 that the retirement of the previous Secretary-General was communicated to the President of the Commission, when he informed the President about his intention to submit his retirement letter the next morning. These facts could have been confirmed by the former Secretary-General and by the former Head of Cabinet of the President. The Commission notes that the European Ombudsman did not hear these two persons who could have explained and confirmed these facts.”

“The Ombudsman’s conclusion that the urgency of the Secretary-General’s appointment was “artificial” is based on a fundamental misunderstanding of the autonomous concept of transfer on the basis of Article 7(1) of the EU Staff Regulations known in the case law as “reassignment with the official’s post”.
No exceptional circumstances are required to reassign an official with his/her post. In particular, the concept of there being a serious and urgent situation is certainly not a necessary condition for an Article 7(1) transfer. The Commission has always stressed that transferring the former Head of Cabinet of the President to the function of Secretary-General was in the best interest of the service and was possible because it is a function which corresponds to the function group and grade he had at the time and still has.
The Commission would also like to insist: (1) on the specificities of the role of the Secretary General and its importance from a political and administrative point of view in implementing the agenda of the President of the Commission and therefore, on the necessity to have a fully operational Secretary-General at all times; and (2) on the fact that both the President and his former Head of Cabinet tried, until the very last day, to convince the former Secretary General to stay on in his function.”

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Resolution des Europaparlaments vom 18 April 2018: http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//NONSGML+TA+P8-TA-2018-0117+0+DOC+PDF+V0//DE

Darin heißt es unter anderem: Das Europäische Parlament…

§20. erklärt, dass die Ernennung des Generalsekretärs in zwei Schritten als eine handstreichartige Aktion angesehen werden könnte und dass dabei die Bestimmungen des Statuts großzügig ausgelegt wurden oder möglicherweise sogar gegen sie verstoßen wurde;

§21. betont, dass das Parlament, wie in der Erklärung des Juristischen Dienstes des Parlaments dargelegt wurde, keine „gravierende und dringende Lage“ ausmachen kann, die das Verfahren der Neuzuweisung gemäß Artikel 7 des Statuts ohne Ausschreibung des Postens rechtfertigt;

§22. … fordert die Kommission auf, in Zukunft offene und transparente Bewerbungsverfahren durchzuführen;

§23. weist darauf hin, dass das Statut wortgetreu und sinngemäß angewandt werden muss, damit ein ausgezeichneter, unabhängiger, loyaler und motivierter europäischer öffentlicher Dienst bewahrt wird; betont, dass dazu unter anderem die Artikel 4, 7 und 29 des Statuts uneingeschränkt geachtet werden müssen, damit „jede freie Planstelle eines Organs […] dem Personal dieses Organs bekanntgegeben [wird], sobald die Anstellungsbehörde beschlossen hat, die genannte Planstelle zu besetzen“, und dass diese Transparenzpflicht – außer in ganz wenigen ordnungsgemäß begründeten Ausnahmefällen, die vom Gerichtshof anerkannt wurden – auch für Versetzungen gemäß Artikel 7 des Statuts eingehalten werden muss;

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Vorschlag der Grünen/EFA-Fraktion für eine Reform der Besetzung von Führungspositionen im Europäischen Parlament: http://extranet.greens-efa-service.eu/public/media/file/1/5555