Sven Giegold

Minimalkompromiss gegen Steuerdumping im Rat weiterhin blockiert

7. Dezember. Bei dem heutigen Treffen der Wirtschafts- und Finanzminister*innen der EU (kurz ECOFIN-Rat) wurde eine lang erwartete Reform der Gruppe Verhaltenskodex Unternehmensbesteuerung weiter blockiert und somit verschoben. Im Vorfeld war bekannt, dass Ungarn und Estland eine Blockade der Reform erwogen hatten. Der Reformvorschlag sah eine begrenzte Ausweitung des Verhaltenskodex auf neue allgemeinen Merkmale einer Steuersystems vor, die zu Niedrig- oder Nichtbesteuerung von Unternehmen führen könnten. Allerdings wären die neuen Regeln nicht auf bestehende schädliche Steuerregelungen angewandt worden, die Steuerdumping ermöglichen. Die vorgeschlagene Reform blieb damit weit hinter dem zurück, was das Europaparlament gefordert hatte. Der Verhaltenskodex ist seit seiner Einführung im Dezember 1997 nicht grundlegend reformiert worden.
Sven Giegold, finanzpolitischer Sprecher der Fraktion Grüne/EFA im Europäischen Parlament, erklärt:

Selbst eine Minimalreform des Verhaltenskodex ist auch nach 24 Jahren immer noch nicht möglich. Betroffene Mitgliedstaaten sollten sich jetzt gemeinsam koordinieren um endlich effektive Abwehrmaßnahmen auf den Weg zu bringen. Innereuropäisches Steuerdumping kostet EU-Mitgliedstaaten Milliarden an verlorenen Steuereinnahmen. Wichtige Reformvorhaben scheitern weiter an der Einstimmigkeit in Steuerfragen. Mitgliedstaaten, die vorangehen wollen, müssen die Gangart verschärfen. Die Konsequenz ist: wir müssen mit den Mitgliedstaaten enger zusammenarbeiten, die auch ein ernsthaftes Interesse an effektiven Abwehrmaßnahmen gegen Steuerdumping haben.”

 

Hintergründe: 

1. Forderungen des Europaparlaments

  • Ausweitung des Mandats von Unternehmensbesteuerung auf Steuerregelungen für vermögende Privatpersonen
  • Transparenz- und Substanzkriterien, die für Drittstaaten gelten, auch in der EU anwenden
  • Transparenz: Offenlegungspflichten und eine eigene Webseite, auf der Dokumente zugänglich gemacht werden
  • Einbindung des Europaparlaments in der Gruppe Verhaltenskodex für ein Mindestmaß an demokratischer Kontrolle
  • Spürbare Konsequenzen für Mitgliedstaaten, die sich den Entscheidungen der Gruppe Verhaltenskodex nicht beugen

2. Inhalt der vorgeschlagene Reform, die jedoch weiter blockiert wird: 

Seit 1997 liegt der Fokus des Verhaltenskodex auf steuerlichen Sonderregelungen für Unternehmen und deren Zulässigkeit. Der Reformvorschlag sieht die Ausweitung des Verhaltenskodex auf die Merkmale eines Steuersystems vor, die allgemeine Anwendung finden (“general features”). Diese seien als schädlich einzustufen, wenn sie zu doppelter Nichtbesteuerung führen oder mehrfache steuerliche Begünstigungen für ein Unternehmen ermöglichen. Die allgemeinen Merkmale eines Steuersystems müssten dabei folgende zwei Kriterien erfüllen, um als schädlich eingestuft zu werden:

  1. Das Steuermerkmal ist nicht mit angemessenen Bestimmungen zur Missbrauchs- bekämpfung oder anderen Schutzmaßnahmen verbunden.
  2. Das Steuermerkmal beeinflusst in erheblichem Maße den Standort der Unternehmens- tätigkeit in der Europäischen Union.

Wichtig: die neuen Regeln für die allgemeinen Merkmale eines Steuersystems sollten nur auf Steuerregelungen angewandt werden, die am oder nach dem 1. Januar 2022 in Kraft gesetzt oder geändert werden. Sie wären damit nicht auf bestehende schädliche Regelungen angewandt worden, die Steuerdumping ermöglichen.

Der Reformvorschlag sieht außerdem folgende Ausweitung der Befugnisse der Kommission innerhalb der Gruppe Verhaltenskodex vor:

  1. Die Kommission kann die Mitgliedstaaten um Informationen zu jeder steuerlichen Regelung bitten, die in den Anwendungsbereich des Kodex fallen könnte. Vorher konnte nur ein Mitgliedstaaten Informationen von einem anderen Mitgliedstaat einfordern.
  2. Die Kommission kann der Gruppe Verhaltenskodex jede steuerliche Maßnahme zur Kenntnis vorlegen.
  3. Die Kommission kann darum bitten, dass eine angemeldete steuerliche Maßnahme eines Mitgliedstaats in der Gruppe erörtert und kommentiert wird.

Etwas mehr Transparenz:

Die vorgeschlagene Reform sollte die derzeitige Praxis, die vom Rat gebilligten, finalen Dokumente zu veröffentlichen, schriftlich festhalten. Der Reformvorschlag sieht auch vor, dass die Gruppe beschließen kann, gegebenenfalls zusätzliche Dokumente zu veröffentlichen. Letzteres ist keine Verpflichtung.

Laut dem derzeitigen Reformvorschlag kann die Gruppe dem Rat auch Vorschläge für allgemeine Leitlinien im Rahmen ihres Mandats zur Genehmigung vorlegen, soweit diese nicht bereits durch Rechtsvorschriften der Union abgedeckt sind. Nach Genehmigung durch den Rat sollen die Leitlinien veröffentlicht werden.

 

3. Gruppe Verhaltenskodex Unternehmensbesteuerung: 

Die Gruppe Verhaltenskodex besteht seit März 1998. Auftrag der Gruppe Verhaltenskodex ist der Kampf gegen schädliche Steuerpraktiken. Sie besteht aus Vertreter*innen der EU-Mitgliedstaaten und der Kommission, die die Zulässigkeit von steuerlichen Regelungen für Unternehmen in EU-Mitgliedstaaten auf der Basis des Kodex zu beurteilen. Seit November 2016 ist eine wichtige Aufgabe der Gruppe die Evaluierung und Überarbeitung der EU Liste der Steueroasen.

Die Gruppe Verhaltenskodex steht schon lange in der Kritik, weil sie Entscheidungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit fällt und das Europäische Parlament derzeit keine demokratische Kontrollfunktion zukommt. Außerdem fehlt es an der transparenten Anwendung von unabhängigen Kriterien für die EU Liste der Steueroasen.

Groteske EU-Steuerpolitik: PandoraPapers zeigt florierende Steueroasen, EU-Finanzminister kürzen EU-Steueroasenliste: https://sven-giegold.de/groteske-eu-steuerpolitik-pandorapapers/

Wegweisender Beschluss zur EU Liste der Steueroasen: damit sie endlich ihrem Namen alle Ehre machen kann! https://sven-giegold.de/beschluss-eu-liste-steueroasen/

Ruinöser Steuerwettlauf um Superreiche/Studie: Monacoisierung von Europa https://sven-giegold.de/studie_monacoisierung_europas/

P.S.: Einladung zu Europe Calling: HEUTE Dienstag, der 7.12., um 20 Uhr zur Einordnung des Ampel-Koalitionsvertrags und meiner neuen Rolle im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Mit Euch möchte ich diskutieren, was Ihr von uns und mir erwartet und vorstellen, was wir uns vorgenommen haben. Seid dabei und meldet Euch gleich hier an: https://gruenlink.de/2cs9

Rubrik: Wirtschaft & Währung

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