Denise Wagner von der NRZ (Neue Ruhr / Neue Rhein Zeitung) hat mich einen Tag in Brüssel begleitet und darüber dieses Porträt geschrieben.
Im Raumschiff Brüssel
Seit einem Jahr ist der Düsseldorfer Sven Giegold (Grüne) Europa-Abgeordneter. Die NRZ hat ihn einen Tag lang begleitet
Denise Ludwig
Brüssel. Es ist nicht zu überhören: Er ist ein Freund der offenen Worte. „Wenn Sie Lobbyismus gegen die Transaktionssteuer betreiben, dann machen Sie sich hier keine Freunde“, sagt Sven Giegold in fließendem Englisch und betont: „Das ist ein sensibles politisches Feld.“ Okay. Seine Gesprächspartner, zwei Börsianer von der New York Stock Exchange haben verstanden. Danke für das Gespräch. Sven Giegold weiß genau, was er tut, was er will und wie er es bekommt. Und das, obwohl er erst seit etwas über einem Jahr in der ganz eigenen Welt der Europäischen Union angekommen ist.
Nur ein kleines Büro steht dem grünen EU-Abgeordneten in der achten Etage zur Verfügung. Dafür entschuldigt er sich, zumindest betont er diesen Umstand oft, wenn er Besucher empfängt. Und es sind eine Menge, die sich heute über den „grünen Flur“ vorbei an Türen mit gelben Aufklebern, auf denen „Stuttgart 21“ durchgestrichen ist, den Weg in sein Büro bahnen.
Sven Giegold drückt aufs Knöpfchen. Die Maschine surrt, einen Moment später dampft Kaffee in seiner Tasse. Wirklich genießen kann er das Heißgetränk allerdings nicht. „Nicht fairtrade“, stellt er fest und fordert seinen Mitarbeiter Johannes auf, sich bitteschön um fair gehandelten Kaffee zu bemühen. Es geht nicht nur um Kaffee. Es geht um eine Vorbildfunktion. „Das wäre ein enormer Imageschaden“, betont Giegold, der sehr darauf achtet, authentisch und transparent zu sein.
Um sechs Uhr früh klingelt sein Wecker. Er will sich über die Kritik der Näherinnen aus Bangladesch informieren. Gleich wird er dazu im ARD-Morgenmagazin interviewt. 7.40 Uhr: Giegold ist auf Sendung. Vier Minuten lang. Dann zieht der Europa-Politiker zu seinem Fraktionsvorsitzenden Daniel Cohn-Bendit weiter. Mit ihm möchte der 40- Jährige eine Konferenz gegen Rechtspopulismus in Europa organisieren. Dann geht’s ab ins Büro, um zehn Uhr stehen die Börsianer aus New York vor der Tür. Sie möchten, dass Europa noch mehr Handel nach Übersee bringt und deshalb sind sie an bestimmten Gesetzgebungsverfahren in der EU interessiert. Giegold hört geduldig zum, tippt immer wieder etwas in seinen Laptop und reibt sich wie zur Entspannung mit Daumen und Zeigefinger über den Nasenrücken. Fast mit dem letzten Wort schnallt er seinen dick bepackten Rucksack um – ein eher ungewöhnliches Bild bei einem Abgeordneten – und wandert zur Fraktionssitzung.
Grüne aus allen Mitgliedsländern treffen sich in einem Mini-Plenarsaal, um ihre möglichst gemeinsamen Strategien für Abstimmungen im Mini-Plenum zu besprechen. „Das war mal eine muntere Fraktionssitzung“, sagt Giegold nach zwei Stunden. Tatsächlich. Als es um die Finanzierung der Renten geht, diskutieren die internationalen Grünen wie wild. Auch der Castor-Transport ist Thema in der Fraktion. Doch in diesem Punkt sind sich die Grünen einig: Der Widerstand, den Franzosen und Deutsche geleistet haben, stößt auf Respekt. Und der Polizeieinsatz auf Unverständnis.
In Frankreich, so berichtet ein Abgeordneter, habe die Polizei sechs Demonstranten, die sich an die Gleise gekettet hatten, freigeschnitten – und dabei bei Fünfen die Sehnen durchtrennt. Sie mussten im Krankenhaus behandelt werden. Darüber werde noch zu reden sein, sagt Sven Giegold, der selbst im Wendland gegen den Castor-Transport demonstrierte. Er wäre gern länger geblieben, hätte intensiver mitgemacht – aber das ist der Preis für Europa. „Das schwierigste ist, nah am Bürger zu sein und gleichzeitig im Europäischen Parlament den Aufgaben nachzukommen“, sagt er. 43 Sitzungswochen liegen pro Jahr in Brüssel und Straßburg vor ihm. Eine 80-Stunden-Woche ist in diesen Perioden keine Seltenheit. „Wir bräuchten mehr Wochen, um uns um unseren Wahlkreis zu kümmern. Wie sonst sollen die Bürger Europa verstehen?“
Jede Woche pendelt er von Düsseldorf nach Brüssel. Die Zugfahrt gibt ihm Zeit, nachzudenken und klare Gedanken zu fassen. Eine eigene Wohnung, wie die meisten Abgeordneten sie in Brüssel haben, hat er nicht. Er wohnt lieber in einem Hostel, das von Menschen mit geistiger Behinderung betrieben wird.
Das alles erzählt er beim Mittagessen in der Parlaments-Kantine, wo es zu jedem Hauptgericht den Oliven-Bonus gibt. „Vielleicht sind das Subventionen für die Spanier“, scherzt Giegold über das kostenlose Zusatzangebot. Den Vormittag spült er mit einem Espresso herunter. Ein straffer Nachmittag, dessen Programm sich soeben geändert hat, liegt noch vor ihm. Ein Fraktionskollege steckt im französischen Zug fest, deshalb muss der deutsche Wirtschaftswissenschaftler einspringen und eine Rede zu Aufsichtsregeln bei Hedgefonds im Plenum halten.
Und immer wieder klopft es an der Bürotür. Dr. Thomas Steffen, neuer Europaabteilungsleiter des Bundesfinanzministeriums, will sich kurz vorstellen. Kurz – denn schon bittet ein Quartett vom Europäischen Bankenverband und vom European Forum of Deposit Insures um Einlass. Was die Kommission da zum Thema Sicherungseinrichtungen für Sparer und Wertpapiergeschäfte ausgeheckt hat, passt dem Sprecher der Gruppe nicht in den Kram.
Auch Giegold passt etwas nicht: Sein Besucher macht Lobbyarbeit für einen privaten Verband einerseits und ist – als nationaler Experte – Vertreter der Bundesregierung andererseits. Im Lobby-Register des Europäischen Parlaments ist er auch nicht eingetragen – weil er sich darüber noch keine Gedanken gemacht habe…Das bringt Giegold auf die Palme. Auf Geschmäckle hat er keinen Appetit. NRZ
Kasten: ZUR PERSON
Von Attac zu den Grünen
Erst vor rund zwei Jahren ist Sven Giegold bei den Grünen (Wahlkreis Düsseldorf) eingetreten. Vorher machte er sich einen Namen als Mitbegründer von Attac-Deutschland und Globalisierungskritiker. Seit Juni 2009 ist er Abgeordneter im Europäischen Parlament. Dort ist er Koordinator der Grünen im Wirtschafts- und Währungsausschuss. Außerdem ist er stellvertretendes Mitglied im Sozial- und Beschäftigungsausschuss. Sein größter persönlicher Erfolg in einem Jahr EU: Er hat maßgeblich daran mitgearbeitet, eine europäische Wertpapieraufsichtsbehörde (ESMA) zu installieren.