Die Entscheidung der Eurogruppe bzw. des Rats der Wirtschafts- und Finanzminister, der Empfehlung der EU-Kommission zu folgen und eine Verletzung des Stabilitäts- und Wachstumspakts durch Spanien und Portugal festzustellen, kommentiert Sven Giegold, finanz- und wirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament:
Die Entscheidung ist sachgerecht, aber einäugig. Spanien und Portugal haben die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts verletzt. Sie sind daher verpflichtet, ihre Finanzpolitik im Rahmen der Währungsunion zu korrigieren. Spanien hat Steuersenkungen für Bezieher höherer Einkommen und Unternehmen beschlossen, die es sich nicht leisten kann. Portugal hat etwa die Arbeitszeit im öffentlichen Dienst gesenkt, obwohl für die Mehrkosten kein Geld vorhanden ist.
Allerdings hat die Entscheidung einen bitteren Beigeschmack, denn auch Frankreich hat die geltenden Regeln verletzt und wurde von EU-Kommission und Eurogruppe nicht sanktioniert. Italien versucht, in Brüssel neue Staatshilfen für Banken durchzusetzen, die sowohl den Regeln der Bankenunion widersprechen als auch für Italien nicht finanzierbar sind, ohne den Stabilitätspakt wiederum zu verletzen. Deutschland ignoriert seit Jahren die Regeln des Verfahrens gegen makroökonomische Ungleichgewichte der Eurozone wegen seiner niedrigen Investitionen und schwachen Binnennachfrage. EU-Kommission und Rat schreiten trotzdem nicht zu Sanktionen.
Daher erzeugt die einäugige Entscheidung gegen Spanien und Portugal böses Blut in Europa. Denn sie verschärft den bestehenden Eindruck, in der Eurozone gäbe es doppelte Standards: Den Schwachen hängt man, die Starken lässt man laufen.
Die Austeritätspolitik kann auch sanktionsbewehrt die Krise in der Eurozone nicht lösen. Sie hat zu neuer Armut und Arbeitslosigkeit beigetragen. Nun steht zu befürchten, dass die EU-Kommission Spanien und Portugal zu neuen Einschnitten in das Sozialsystem zwingt. Die grassierende Korruption in Spanien wird dagegen weiterhin beschwiegen, obwohl sie letztlich Hauptursache für die Probleme des Landes ist.
Stattdessen brauchen wir dringend eine gemeinsame Wirtschafts- und Fiskalpolitik in der Eurozone. Die wirtschaftspolitische Arbeitsverweigerung der wichtigsten Mitgliedsländer ist unverantwortlich. Die EU-Kommission muss endlich weitreichende Vorschläge vorlegen und damit die Mitgliedsländer zur Positionierung zwingen. Eine europäische Investitionspolitik muss überschüssiges Kapital in langfristig orientierte Investitionen lenken. Mit der Energiewende, digitaler Infrastruktur und dringenden Aufgaben im Bildungs- und Gesundheitssektor ist ein europäisches Investitionsprogramm ökonomisch vernünftig und sozial wie ökologisch geboten. Wir brauchen den Green New Deal.