Sven Giegold

Streitfrage: Soll die EU Griechenland finanziell helfen?

Streitfrage: Griechenland ist finanziell schwer angeschlagen. Soll die EU helfen?

Es debattieren Andreas Wehr und Sven Giegold

Inszenierte Empörung in Deutschlands Blätterwald

Von Andreas Wehr

Deutsche Politiker und Journalisten haben einen neuen Prügelknaben: Griechenland. Man überbietet sich in Beschuldungen, Diffamierungen und Herabsetzungen des Landes am Peloponnes. Hier eine Auswahl von Schlagzeilen: »Abschied vom Schlaraffenland« (»Frankfurter Allgemeine Zeitung« [FAZ] vom 5.2.2010), »Statistischer Serienlügner« (»Financial Times Deutschland« [FTD] vom 9.11.2009), »Liederliche Politik« (»Handelsblatt« vom 8.12.2009), »Monster-Defizit« (»Spiegel-online« vom 5.12.2009), »Abgebrannt am Mittelmeer« (»Die Zeit« vom 14.1.2010). Inzwischen ist nicht nur Griechenland im Visier: Als »PIGS« (Schweine), zusammengesetzt aus den Anfangsbuchstaben der Länder, werden Portugal, Italien, Griechenland und Spanien diffamiert. Wen wundert es da, dass – nach einer Umfrage von »Bild am Sonntag« – 53 Prozent der Deutschen sich für einen Ausschluss Griechenlands aus der Eurozone aussprechen? Und deutsche Finanzhilfen lehnen nach einer Emnid-Umfrage gut zwei Drittel der Befragten ab.

Hinter dieser inszenierten Empörung geht unter, dass Griechenland bisher noch gar nicht um Finanzhilfen gebeten hat, denn noch hat das Land auf den internationalen Finanzmärkten Kredit. Seine letzte Anleihe von acht Milliarden Euro konnte es problemlos platzieren, die Nachfrage nach ihr war sogar dreimal höher. Und doch sollte man Griechenland helfen. Es würde sogar nichts kosten. Man sollte endlich aufhören, von seinem bevorstehenden Staatsbankrott zu schwadronieren. Dieses dumme Gerede zerstört jedes Vertrauen in das Land und ermutigt nur dreiste Spekulanten.

Warum nun die ganze Aufregung um Hellas? Was ist passiert? Gehen wir der Reihe nach vor: Für 2009 hat sich Griechenland mit 12,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts neu verschuldet. Das ist im EU-Durchschnitt hoch. Aber vergleichbare Defizite melden auch andere Länder, etwa Großbritannien mit ebenfalls gut 12 und Spanien mit 10 Prozent. Zweistellig sind die Raten auch in Japan und den USA. Griechenland ist also keineswegs eine Ausnahme. Die Krise fordert ihren Tribut: Großzügige Hilfen für Banken, Konjunkturprogramme und rückläufige Steuereinnahmen haben überall große Löcher in die Haushalte gerissen. Gegen nicht weniger als 20 von 27 EU-Mitgliedsländern hat die Europäische Kommission deshalb Defizitverfahren nach dem Stabilitäts- und Wachstumspakt eingeleitet – auch gegen Deutschland. In Griechenland kommen noch eigene Versäumnisse hinzu. Seit Jahren tut man dort nichts gegen den enormen Steuerbetrug. Die Quote hinterzogener Mehrwertsteuern schätzt man auf nicht weniger als 30 Prozent. Wie andere neoliberale Regierungen auch, hat Athen die Körperschaftsteuer (eine Unternehmenssteuer) von 25 auf 20 Prozent gesenkt. All dies tat die erst im Oktober 2009 abgewählte konservative Regierung, also die engen Parteifreunde Merkels und Seehofers. Die Konservativen waren es auch, die die Statistiken fälschten.

Doch die Wut in Brüssel und in Berlin über diese Manipulationen kann allein nicht erklären, weshalb Griechenland am Pranger steht. Ohne Zweifel soll an ihm ein Exempel statuiert werden. Europäischer Kommission und Bundesregierung ist es ein schon lange ein Dorn im Auge, dass viele der »Reformen«, die etwa in Deutschland zu einem massiven Sozialabbau geführt haben, in Griechenland bislang nicht durchgesetzt werden konnten. So war die Regierung in Athen immer wieder damit gescheitert, das Renteneintrittsalter auf das neue deutsche Niveau anzuheben und zugleich die jetzt schon erbärmlich niedrigen Renten abzusenken. Kampfstarke, kommunistisch geführte Gewerkschaften konnten das verhindern. Nun soll dieser Widerstand, mit Hilfe der Skandalisierung der Statistikmanipulation, ein für allemal gebrochen werden. Wenn man den Griechinnen und Griechen wirklich helfen will, so sollte sich die deutsche Linke der sozialistischen Tugend der Solidarität erinnern und ihre Unterstützung und Sympathie für diesen Kampf der griechischen Gewerkschafter um ein einigermaßen menschenwürdiges Leben zum Ausdruck bringen.

Ganz offen heißt es heute: »Bestraft Griechenland!« (FTD vom 2.12.2009) und dazu setzte man eine »engmaschige Haushaltsüberwachung in Gang, wie es sie in dieser Strenge noch nie gegeben hat« (FAZ vom 2.2.2010). In nur drei Jahren, bis 2012, soll das Defizit von heute 12,7 auf drei Prozent gedrückt werden. Das ist aber die sicherste Methode, um eine wirtschaftliche Erholung des Landes unmöglich zu machen. Zum Vergleich: Frankreich will sich bis 2014 Zeit lassen, um sein vergleichsweise moderates Defizit von sieben auf drei Prozent zu verringern. Deutschland muss überhaupt erst 2011 mit dem Schuldenabbau beginnen. Eine große Hilfe für Griechenland wäre es daher, passte man das Tempo der Reduzierung seiner Schulden dem dafür unabdingbaren Wirtschaftswachstum an.

Der Lärm um Griechenland überdeckt, dass das Land mit seinen Schwierigkeiten keineswegs allein steht. Auch Irland, Portugal, Spanien und Italien kämpfen mit überdurchschnittlichen Schulden. Damit ist unübersehbar, dass in der Eurozone vieles nicht stimmt. Einige Länder, der langjährige Exportweltmeister Deutschland an der Spitze, häufen Jahr um Jahr enorme Leistungsbilanzüberschüsse auf, die sich in Südeuropa in hohen Defiziten niederschlagen. Da es aber nur noch eine einheitliche Währung gibt, können diese Länder nicht mehr abwerten, um ihre Exporte zu verbilligen. Diese makroökonomischen Ungleichgewichte müssen angegangen werden. Notwendig ist eine verbindliche Koordination der Wirtschaftspolitiken, eine europäische Wirtschaftsregierung. Überschussländer wie Deutschland müssen sich dabei verpflichten, die Binnennachfrage zu stärken und zugleich ihre aggressive Exportstrategie aufzugeben. Vor allem damit könnte Griechenland geholfen werden. Doch die Bundesregierung hat bereits Nein zu diesen Plänen gesagt. Geht es nach ihr, so haben sich nur die anderen anzupassen, indem sie Löhne und Sozialstandards senken. So ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Eurozone unter diesen Spannungen zerbricht.

Andreas Wehr, 1954 in Berlin geboren, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Fraktion der Vereinten Europäischen Linken im Europäischen Parlament. Von 1971 bis 1998 war der studierte Jurist Mitglied der SPD und von 1991 bis 1999 Angestellter in der Berliner Senatskanzlei. Andreas Wehr veröffentlicht regelmäßig Beiträge zur Politik der Europäischen Union, u. a. auf seiner Internetseite www.andreas-wehr.eu.

Steuerbetrug als griechischer Volkssport

Von Sven Giegold

Die wirtschaftliche Situation der Eurozone ist dramatisch. Verschärft durch die Folgen der Finanzkrise driften die Euroländer durch wirtschaftliche Ungleichgewichte immer weiter auseinander. Fast alle Staaten leiden unter hohen Defiziten der öffentlichen Haushalte, einige unter sehr hoher Staatsverschuldung. Noch dramatischer ist für einige Länder der Verlust der innereuropäischen Wettbewerbsfähigkeit. Griechenland, Spanien und Portugal haben inzwischen Leistungsbilanzdefizite von 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Auch die Folgen der Finanzkrise für den Arbeitsmarkt sind höchst ungleich. Gerade in Spanien und Griechenland erreicht die Jugendarbeitslosigkeit inzwischen 40 bzw. 25 Prozent.

Die von der Krise besonders betroffenen Länder, insbesondere Griechenland, sind nun von einem Abwärtsstrudel bedroht. Denn an den Finanzmärkten müssen für griechische Schuldtitel immer höhere Zinsen berappt werden, was Wirtschaft und Staatshaushalt weiter belastet. Die griechische Krankheit ist also weit schlimmer als die oberflächliche Debatte um das Staatsdefizit andeutet. Denn noch schwerer als die Sanierung des Haushalts ist es, die Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Wirtschaft wiederherzustellen. Wenn Griechenland nicht Mitglied der Eurozone wäre, könnte es jetzt die eigene Währung abwerten. Dieser Weg steht jedoch nicht mehr zur Verfügung. Die Probleme Griechenlands sind damit automatisch ein Problem für die Stabilität des Euro und aller Euroländer.

Dabei ist klar, dass der griechische Staat eine besondere Verantwortung trägt. Die Menschen in Griechenland leiden schon lange unter Korruption, kleptokratischen Eliten, Staatshaushalten und öffentlichem Dienst als Beute für Paternalismus. Steuerhinterziehung ist in Griechenland Volkssport – bei Gutverdienenden wie am unteren Ende der Gesellschaft. Es war die griechische Regierung, die immer wieder falsche Daten nach Brüssel übermittelt hat. Auch war der grundsätzlich sinnvolle und notwendige Einsatz der europäischen Strukturfondsmittel in Griechenland besonders wenig wirksam.

Allerdings trägt die EU und gerade Deutschland eine Mitverantwortung für die griechische Krise. Zum einen hat man früheren griechischen Regierungen immer wieder die fragwürdigen Daten durchgehen lassen, obwohl die Zweifel bekannt waren. Zum anderen haben Deutschland, Österreich und die Niederlande mit ihrer systematischen Politik der Lohnkostensenkung zu den Leistungsbilanzdefiziten in Südeuropa beigetragen. Während die Löhne im Süden der Eurozone schneller stiegen als die Produktivität plus Zielinflationsrate, sind sie in Deutschland viel zu langsam gestiegen. Gleichzeitig hat sich die Bundesregierung in den wirtschaftspolitischen Debatten in Brüssel immer wieder gegen eine stärkere ökonomische Kooperation zwischen den Euroländern gewandt. Sie ist daher ökonomisch wie politisch mitverantwortlich für die großen Ungleichgewichte in der Eurozone.

Was also ist zu tun? Ganz kurzfristig sollte gegen die grassierende Spekulation gegen Griechenland auf den Finanzmärkten eingeschritten werden. Die Euroländer müssen die Spekulation gegen die eigene Währung nicht hinnehmen. Die entsprechenden Teilmärkte an den Finanzmärkten müssen geschlossen werden.

In Griechenland haben die Menschen einen Anspruch auf einen Staat der dem Gemeinwohl dient. Es ist daher richtig, wenn unproduktive griechische Staatsausgaben gesenkt werden, damit die öffentliche Hand nicht in Zins- und Zinseszinszahlungen versinkt. Zuallererst ist hier an die hohen Militärausgaben von 4,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu denken. Auch dass sich die griechische Regierung verpflichtet hat, gegen die grassierende Steuervermeidung und Steuerbetrug vorzugehen, ist positiv. Allerdings wäre es unaufrichtig so zu tun, als gebe es für Griechenland eine schmerzfreie Therapie. Denn es geht nicht nur um die Begrenzung der Staatsverschuldung, sondern um die Verminderung des nicht durchhaltbaren und arbeitsplatzvernichtenden Leistungsbilanzdefizits. Dazu muss Griechenland seine Kosten senken. Das wird ohne Lohnsenkungen kaum gehen. Sie müssen so gestaltet werden, dass die einkommensschwächsten Gruppen der Bevölkerung möglichst verschont bleiben. Das entspricht einer Abwertung der Währung, die für Griechenland mit dem Euro nicht möglich ist. Denn eine Abwertung ist nichts anderes als eine Senkung der Reallöhne.

Griechenland muss Konsequenzen aus den eigenen wirtschaftlichen Problemen ziehen. Von einer vernünftigeren Wirtschaftspolitik kann die Mehrheit der Griechinnen und Griechen profitieren. Somit sind Verpflichtungen gegenüber der EU angesichts einer schlechten Regierungsführung durchaus positiv, wenn sie sozial gestaltet wären. Das Bekenntnis zu sozialen Zielen entspricht auch den Grundwerten der EU. Leider ist das nun vereinbarte Programm in vielerlei Hinsicht unsozial und widerspricht damit europäischen Werten. Gerade die Erhöhung der Massensteuern ist unakzeptabel. Damit macht die EU wie auch die griechische Regierung einen großen Fehler. Denn die unsozialen Auflagen werden die griechischen BürgerInnen gegen die Idee der europäischen Integration aufbringen. Damit wird eine Chance vertan, denn nach allen Umfragen wünscht sich die Mehrheit der GriechInnen mehr Europa und ein Ende der korrupten Praktiken im Land.

Doch die Konsequenzen der griechischen Krankheit müssen viel weiter gehen. Europa braucht endlich eine Wirtschaftsregierung. Eine gemeinsame Währung kann nicht Bestand haben, wenn nicht auch die Wirtschaftspolitik europäisiert wird. Es ist weder ursachengerecht noch fair, die Lasten der Anpassung bei Ungleichgewichten nur den Defizitländern aufzuerlegen. Deutschland als Überschussland muss seine effektive Nachfrage erhöhen und seinen Leistungsbilanzüberschuss senken. Das würde den Anpassungsbedarf Spaniens, Portugals und Griechenlands senken helfen. Die europäischen Mitgliedsländer dürfen sich bei den Steuern nicht mehr gegenseitig das Wasser abgraben, sondern müssen zur Steuerkooperation übergehen. Das Schließen der Steueroasen würde auch dem griechischen Staat helfen. Und schließlich sollten die europäischen Partnerländer Griechenland helfen, wenn es sich auf den Weg macht, seine Hausaufgaben ernsthaft anzugehen. Besonders wirksam wären Eurobonds oder Bürgschaften für griechische Staatsanleihen, die die exorbitanten unproduktiven Zinslasten senken würden.

Sven Giegold, Jahrgang 1969, ist Abgeordneter der Grünenfraktion im Europäischen Parlament. Der Ökonom ist einer der Gründer des globalisierungskritischen Netzwerkes Attac Deutschland. Sven Giegold ist Mitglied der Attac-Arbeitsgruppe »Finanzmärkte und Steuerflucht« und war Vertreter der Umweltorganisation BUND im Koordinierungskreis des Netzwerkes.

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